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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 5
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Biermann, Georg; Corinth, Lovis [Gefeierte Pers.]: Lovis Corinth: zur Gedächtnisausstellung der Nationalgalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0164

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große Bogen, der Anfang und Ende Umspannt, durch fremdartige Einflüsse
unterbrochen erscheint. Aber wie im Leben eines jeden schöpferischen Men-
schen empfindet man auch bei Corinth deutlich die Tatsache, daß nicht jedes
Werk eine Meisterschöpfung sein konnte und vieles, was zwischen den hoch-
ragenden Gipfeln dieses Ungeheuren Blockes steht, gewinnt nur dadurch be-
sonderes Interesse, daß es im Rahmen des Gesamten Verbindungen herstellt
oder besser noch, daß es erst im Widerschein der Persönlichkeit unsere Anteil-
nahme zu fesseln vermag.
Was überhaupt an fremden Einflüssen feststellbar ist, betrifft höchstens die
Arbeit des Malers bis etwa zum Jahre 1898, d. h. bis zum Ausklang seines
zweiten, damals zehnjährigen Aufenthaltes in München. Alles, was nach
diesem Datum entsteht, ist dann so Unverfälscht echtester Corinth, daß man
kaum noch versucht ist, vor irgendeinem Werk an einen anderen Zeitgenossin
sehen Meister zu denken, ob er nun Deutscher oder Franzose ist. Als früheste
Arbeit hängt in der Ausstellung (Nr. 1 des Katalog es) eine kleine Landschaft
mit Ansicht des Aweyder Parks bei Königsberg, eine typisch schulmäßige
Arbeit, die vielleicht noch im letzten Jahr seines Königsberger Akademiker-
tums entstanden ist, ein Bild, das durch einen fernen Anklang an romantische
Überlieferung sympathisch wirkt und dabei im ganzen so durchaus Unpersön-
lich anspricht, daß man von hier aus noch keinen Weg für die kommende Ent-
wicklung geöffnet sieht. Viel charakteristischer sind dann die Bilder, die das
Jahr 1884 bezeichnet und die nach dem ersten Studienaufenthalt in München,
in Antwerpen und Paris entstanden sind1. Der „Othello“ ist unmittelbar unter
dem Einfluß von Hals mehr noch als von Rubens geworden und dabei doch
schon so ursprünglich der Corinthschen Palette entwachsen, daß dieses Bild
entwicklungsgeschichtlich immerhin eine besondere Stelle behauptet. Ganz
ähnlich das „Komplott“ — im Katalog so merkwürdig als „der schwarze Plan“
bezeichnet —, das durchaus die pariserische Marke aus der Akademie Julian
an sich trägt, die sich greifbarer noch auf dem schönen Rückenakt vom Jahre
1885 feststellen läßt, der irgendwie etwas typisch Französisches hat.
Daß Corinth in diesen Jahren seines Werdens auch der Münchner Tradition
enger verbunden war, als es bisher den Anschein hatte, beweist ü. a. jene „Alte
Frau am Fenster“ vom Jahre 1887, eine Arbeit, die einem unwillkürlich den
Namen Leibi auf die Lippen zwingt und vielleicht auch noch das zweite Por-
trät des Vaters, der den Brief in der Hand hält — datiert 22. Juli 87—, das mehr
nach München als nach Paris hinweist. Viel freier dann das dritte Bild des
Vaters auf dem Krankenlager vom Oktober 1888, in Königsberg nach der
Rückkehr aus Paris gemalt, auf dem schon das kleine Stilleben mit den Medi-
kamenten und den Blumen wie ein Meisterwerk malerischer Kultur anspricht.
Als aber Corinth im Jahre 1890 zum zweitenmal nach München zurückkehrt,
da werden anfangs die Einflüsse dieser süddeutschen Kunstatmosphäre be-
sonders deutlich. So bei dem „Kruzifix im Wald“ von 1891; so auch bei dem
Blick aus dem Münchner Atelier vom selben Jahre, ein Bild, das andererseits
etwas auffallend Pariserisches hat. Ferner bei den Alten Männern im Armen-
heim, die wieder den Namen Leibi auf die Lippen zwingen und bei einem
halben Dutzend anderer Werke, die zwischen einem langsam erwachenden
impressionistischen Stil und dem örtlich allzu beliebten Genre hin und her
pendeln. Aus dem Jahre 1898 stammen jene beiden kleinen, hochformatigen
1 Der Katalog der Ausstellung setzt fälschlicherweise den Antwerpener Aufenthalt
Corinths in das Jahr 1887, was entwicklungsgeschichtlich ein vollkommen falsches Bild
geben würde. Diese erste Auflage des Katalogs hat auch sonst zahlreiche Druckfehler
und verzeichnet gleich eingangs das Geburtsdatum mit dem Jahre 1859 statt 1858.

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