Von Künstlern und Gelehrten
er warf mit aller Entschiedenheit Pathos
und Lyrismen ab und bohrte sich in die
Zeit. (Man baute damals in Paris die ersten
großen Bauten in Eisenkonstruktion.) —-
Feuerbach wendete sich von ihr ab. Nie
wurde uns der biedermeierliche Ursprung
des Malers so klar wie bei diesen unvoll-
endet gebliebenen Gemälden. Bei seiner
deutschen Vergangenheit konnte er gar
nicht Beaudelaire und Manet finden, die
ihm doch über den Weg gelaufen sein müs-
sen! Die beiden stiegen später in die Ab-
synthbuden; Feuerbach ging nach Italien.
Was — besonders an den biedermeierlich
gehaltenen Porträts — auffällt, ist des 23 jäh-
rigen ganz großzügiger Wurf der Flächen-
disposition. Daneben gibt es Bacchanten-
köpfe, die an das Graugrün der Napolitaner
(Ribera und seine Nachfolger) mehr erin-
nern als an Ableger Couturescher Staffa-
gefiguren, und eine große Frauenstudie
(1854), dunkelgrau-grün-braun, mit beschat-
teten Augen und gesenktem Blick, der für
Feuerbach später so bezeichnend wird. —
Dann wieder ein „Mädchen mit dem Tam-
burin“ (1853) in gedämpften Biedermeier-
farben, mit jenem fast wollüstigen Hin-
abgleiten in Vergangenes, das sanft leiden-
der Passivität eigen ist. Nehmt diesem
Mädchen den etwas süßlichen Farbenauf-
strich und das Tamburin, und ihr habt be-
reits eine Urform der „Iphigenie“. — Im
Grunde sind es alle Verlassene, die — wie
die Figuren auf einem glänzend kompo-
nierten Gruppenbild — den Kopf in den
Armen vergraben. In allen wächst eine edle,
aber unfruchtbare Traurigkeit, die gern ent-
steht, wenn die eigenen Schritte der Zeit
selbst entgegengesetzt sind. —
Wir bemerken diese Ausstellung Feuer-
bachs besonders, nicht allein der Wichtig-
keit des Fundes wegen. Unwillkürlich wur-
den unsere Zeitnerven affiziert. Es spinnen
sich gefährliche Fäden von diesen Bildern
zur „nachexpressionistischen Bewegung“
in der aufkommenden Hinneigung zum
Wesen des „pictor poeta“. In Italien ■—
das in diesen Dingen gern etwas voraus
ist — wandelt man bereits offen auf den
Pfaden Böcklins und Feuerbachs. Giorgio
de Chirico gab — abgesehen von seiner
eigenen Malerei — kürzlich in der Serie
der „Valori plastici“ einen „Courbet“ her-
aus, indem er gerade das Wesen eines „Pic-
tor Poeta“ herausschälte. Wir aber fürch-
ten die Rückkehr zur literarischen Malerei
wie einen Fallstrick. Es könnte die ganze
Bewegung unmöglich machen! Giedion.
Von Künstlern
und Gelehrten
Willette ist, wie bereits an dieser Stelle
erwähnt, kürzlich, beinahe siebzigjährig, in
Paris gestorben, einer der letzten Nachkom-
men Gavarnis. Seine Visionen waren mit
allerhand Schäfer- und Gaukelspiel bevöl-
kert. Er bewegte sich darin als Pierrot, und
gewiß hat in ihm kein Kostüm besser ge-
standen als das Gilles’ von Watteau. Mit
seiner Malerei war er freilich ein Schüler
Cabanels. Seine Malerei behielt immer et-
was Konventionelles; es läßt sich gerade
eben auf der Retrospektive der Indepen-
dants, wo seine noch aus der Chatnoirzeit
stammenden Bilder gezeigt werden, nach-
prüfen. Aber als Zeichner war er originell,
witzig, graziös, schlagend. Im „Courrier
Franpais“ verfolgte er jahrelang mit seinem
behenden Stift alle markanten politischen
und gesellschaftlichen Tagesgeschehnisse.
Der „Courrier Franpais“ spiegelt eine
Epoche. Man kann einmal in diesen Jahr-
gängen blättern wie im Charivari. Willette
war Nationalist, schlug aber auch kom-
munistische Purzelbäume. Die Hauptsache
war ihm die Opposition. Er verspottete den
Philister, wurde aber zuletzt selbst ein bra-
ver Bürger mit Ehrenlegion, der über dem
Pierrotkostüm Frack und weiße Binde trug.
Willette verehrte die Mutter Gottes und die
kleinen Kolombinen vom Montmartre. Als
er starb, fand man unter seinen Papieren
eine mit seinem Blut verfaßte und Unter-
zeichnete (!) Einladung an die Pariser
Künstlerschaft zu einer nach seiner genauen
Vorschrift zu veranstaltenden Totenmesse.
Diese Messe wurde am Aschermittwoch in
Saint-Germain-l’Auxerrois zelebriert. Forain
präsidierte. Der Pater Janvier wetterte gegen
Hochmut und Unsittlichkeit bei den Künst-
lern. Ein sinngemäßer Aschermittwochs-
abschluß von Willettes Fastnachtsdasein.
Albert Dreyfus.
BERICHTIGUNG
Im Corinth-Artikel des letzten Heftes ist
versehentlich eine Jahreszahl falsch ge-
druckt worden, die der aufmerksame Leser
wahrscheinlich schon selbst nach dem Vor-
hergesagten richtiggestellt haben dürfte.
Auf Seite 151 ist das Datum der Übersied-
lung Corinths nach Berlin mit ign ange-
geben. In Wirklichkeit muß es heißen 1901.
206
er warf mit aller Entschiedenheit Pathos
und Lyrismen ab und bohrte sich in die
Zeit. (Man baute damals in Paris die ersten
großen Bauten in Eisenkonstruktion.) —-
Feuerbach wendete sich von ihr ab. Nie
wurde uns der biedermeierliche Ursprung
des Malers so klar wie bei diesen unvoll-
endet gebliebenen Gemälden. Bei seiner
deutschen Vergangenheit konnte er gar
nicht Beaudelaire und Manet finden, die
ihm doch über den Weg gelaufen sein müs-
sen! Die beiden stiegen später in die Ab-
synthbuden; Feuerbach ging nach Italien.
Was — besonders an den biedermeierlich
gehaltenen Porträts — auffällt, ist des 23 jäh-
rigen ganz großzügiger Wurf der Flächen-
disposition. Daneben gibt es Bacchanten-
köpfe, die an das Graugrün der Napolitaner
(Ribera und seine Nachfolger) mehr erin-
nern als an Ableger Couturescher Staffa-
gefiguren, und eine große Frauenstudie
(1854), dunkelgrau-grün-braun, mit beschat-
teten Augen und gesenktem Blick, der für
Feuerbach später so bezeichnend wird. —
Dann wieder ein „Mädchen mit dem Tam-
burin“ (1853) in gedämpften Biedermeier-
farben, mit jenem fast wollüstigen Hin-
abgleiten in Vergangenes, das sanft leiden-
der Passivität eigen ist. Nehmt diesem
Mädchen den etwas süßlichen Farbenauf-
strich und das Tamburin, und ihr habt be-
reits eine Urform der „Iphigenie“. — Im
Grunde sind es alle Verlassene, die — wie
die Figuren auf einem glänzend kompo-
nierten Gruppenbild — den Kopf in den
Armen vergraben. In allen wächst eine edle,
aber unfruchtbare Traurigkeit, die gern ent-
steht, wenn die eigenen Schritte der Zeit
selbst entgegengesetzt sind. —
Wir bemerken diese Ausstellung Feuer-
bachs besonders, nicht allein der Wichtig-
keit des Fundes wegen. Unwillkürlich wur-
den unsere Zeitnerven affiziert. Es spinnen
sich gefährliche Fäden von diesen Bildern
zur „nachexpressionistischen Bewegung“
in der aufkommenden Hinneigung zum
Wesen des „pictor poeta“. In Italien ■—
das in diesen Dingen gern etwas voraus
ist — wandelt man bereits offen auf den
Pfaden Böcklins und Feuerbachs. Giorgio
de Chirico gab — abgesehen von seiner
eigenen Malerei — kürzlich in der Serie
der „Valori plastici“ einen „Courbet“ her-
aus, indem er gerade das Wesen eines „Pic-
tor Poeta“ herausschälte. Wir aber fürch-
ten die Rückkehr zur literarischen Malerei
wie einen Fallstrick. Es könnte die ganze
Bewegung unmöglich machen! Giedion.
Von Künstlern
und Gelehrten
Willette ist, wie bereits an dieser Stelle
erwähnt, kürzlich, beinahe siebzigjährig, in
Paris gestorben, einer der letzten Nachkom-
men Gavarnis. Seine Visionen waren mit
allerhand Schäfer- und Gaukelspiel bevöl-
kert. Er bewegte sich darin als Pierrot, und
gewiß hat in ihm kein Kostüm besser ge-
standen als das Gilles’ von Watteau. Mit
seiner Malerei war er freilich ein Schüler
Cabanels. Seine Malerei behielt immer et-
was Konventionelles; es läßt sich gerade
eben auf der Retrospektive der Indepen-
dants, wo seine noch aus der Chatnoirzeit
stammenden Bilder gezeigt werden, nach-
prüfen. Aber als Zeichner war er originell,
witzig, graziös, schlagend. Im „Courrier
Franpais“ verfolgte er jahrelang mit seinem
behenden Stift alle markanten politischen
und gesellschaftlichen Tagesgeschehnisse.
Der „Courrier Franpais“ spiegelt eine
Epoche. Man kann einmal in diesen Jahr-
gängen blättern wie im Charivari. Willette
war Nationalist, schlug aber auch kom-
munistische Purzelbäume. Die Hauptsache
war ihm die Opposition. Er verspottete den
Philister, wurde aber zuletzt selbst ein bra-
ver Bürger mit Ehrenlegion, der über dem
Pierrotkostüm Frack und weiße Binde trug.
Willette verehrte die Mutter Gottes und die
kleinen Kolombinen vom Montmartre. Als
er starb, fand man unter seinen Papieren
eine mit seinem Blut verfaßte und Unter-
zeichnete (!) Einladung an die Pariser
Künstlerschaft zu einer nach seiner genauen
Vorschrift zu veranstaltenden Totenmesse.
Diese Messe wurde am Aschermittwoch in
Saint-Germain-l’Auxerrois zelebriert. Forain
präsidierte. Der Pater Janvier wetterte gegen
Hochmut und Unsittlichkeit bei den Künst-
lern. Ein sinngemäßer Aschermittwochs-
abschluß von Willettes Fastnachtsdasein.
Albert Dreyfus.
BERICHTIGUNG
Im Corinth-Artikel des letzten Heftes ist
versehentlich eine Jahreszahl falsch ge-
druckt worden, die der aufmerksame Leser
wahrscheinlich schon selbst nach dem Vor-
hergesagten richtiggestellt haben dürfte.
Auf Seite 151 ist das Datum der Übersied-
lung Corinths nach Berlin mit ign ange-
geben. In Wirklichkeit muß es heißen 1901.
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