Architekt wendet sich vom Maler, Bildhauer und — mit besonderem Nach-
druck — vom Historiker ab, um als seinen eigentlichen Bruder und Helfer den
Soziologen, Statistiker, Volkswirtschaftler anzuerkennen.
Der Architekt wirft mit Bewußtsein die letzte ästhetische Isolierschicht, die
ihn vom wirklichen Leben trennen könnte, ab, um — fast selbstvergessen •—
die Kommandoworte der regierenden Bedürfnisse möglichst restlos in sich
aufnehmen zu können: Wichtiger als Form, Monumentalität sind die Ver-
kehrskurven einer Stadt geworden. —
Man befürchte nicht, daß nun auf einmal eine spannungslose Nüchternheit
aufsteige: Bevor nicht die Architektur das ganze Niveau unseres geänderten
Lebens restlos in sich gesogen hat, so lange kann sie nicht Formulierungen
finden, deren grundsätzliche Richtigkeit den späteren Generationen zum un-
entbehrlichen Material wird. Wir verlangen nach Stetigkeit! Die Architektur
formuliert, muß neu formulieren, um die neuen Verhältnisse voll in sich
tragen zu können.
An diesem Wendepunkt fragt man unwillkürlich: In welcher Situation be-
findet sich die deutsche Architektur?
Überblick: Man muß erkennen, daß in der Bewegung, die um die Jahrhun-
dertwende die Architektur erfaßte — und in deren Fahrwasser heute noch der
große Strom segelt —, das Kunstgewerbe die Oberhand bekam. Das
hatte zur Folge: Nicht die Architektur kam zur Herrschaft, sondern das Kunst-
gewerbe! Es ist kein Zufall, daß die meisten wegbahnenden Architekten dieser
Zeit vom Kunstgewerbe oder doch von der Innendekoration herkamen. Ver-
suchen wir Vor- und Nachteile der kunstgewerblichen Infiltration klarzu-
legen: Das Kunstgewerbe geht von der Form aus. Das Kunstgewerbe reinigte
mit der Durchführung des Kampfrufes: Zweckform gegen Stilform den
deutschen Boden am radikalsten von allen umliegenden Ländern von den
Klichee gewordenen Stilnachahmungen. Ein gewisses Niveau von Gerät-
schaft und Innenraum ist soweit Selbstverständlichkeit geworden, daß auch
der letzte deutsche Spießer etwa vor den Jugendstiliaden der Pariser Kunst-
gewerbeausstellung eine erhabene Überlegenheit empfand.
Allein über Nacht hat sich mit der, die Herrschaft antretenden Architektur
die Problemstellung geändert. Man fragt nicht mehr lang: Zweckform oder
Stilform. Man zerbricht sich nicht mehr den Kopf, einen formalen Stil zu
finden, wie es im Gefolge der kunstgewerblichen Fragestellung immer wieder
geschah. (Übrigens taucht das Suchen nach einem einheitlichen Zeitstil im
Augenblick auf, als verschiedene Stilformen nebeneinander verwendet werden,
und ist bis in das 3. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zurückzuverfolgen.) Fast
bis zur Gleichgültigkeit gegen die Form (Reaktionserscheinung) herrscht für
den neuen Architekten nur Bedürfnis, Baukosten und Zahl (Berechnung)!
Für einen wirklich neuen Stil dürften das allerdings die besten Helfer sein. —
Wir sind mit der Bewegung, die wir die kunstgewerbliche nennen, aufge^
wachsen, und voll anerkannt sei, was sie uns schenkte: Reinigung des Haus-
rats, verfeinerte Gegenständlichkeit, Belebung fast aller Materialien: vom Me-
tall über edle Hölzer bis zu den Textilien, bis zu den Oberflächenreizen der
Keramik, bis zum Verputz einer Mauer! — Nicht vergessen sei die architek-
tonische Reinigung des Hauses, wenn sie auch einer allzu kissenfreund-
lichen Boudoirstimmung nicht entging.
Doch muß einmal klar gesagt werden: Die Kunstgewerbebewegung hat sich
totgelaufen! Und nicht erst seit heute! Die „Werkstättenkultur“, die mit den
Geschmacksnerven eines verfeinerten Bürgertums rechnete, ist am Ende.
Am deutlichsten zeigt sich das an der zuerst zu Bedeutung gelangten „Wiener
c. H. 7
217
druck — vom Historiker ab, um als seinen eigentlichen Bruder und Helfer den
Soziologen, Statistiker, Volkswirtschaftler anzuerkennen.
Der Architekt wirft mit Bewußtsein die letzte ästhetische Isolierschicht, die
ihn vom wirklichen Leben trennen könnte, ab, um — fast selbstvergessen •—
die Kommandoworte der regierenden Bedürfnisse möglichst restlos in sich
aufnehmen zu können: Wichtiger als Form, Monumentalität sind die Ver-
kehrskurven einer Stadt geworden. —
Man befürchte nicht, daß nun auf einmal eine spannungslose Nüchternheit
aufsteige: Bevor nicht die Architektur das ganze Niveau unseres geänderten
Lebens restlos in sich gesogen hat, so lange kann sie nicht Formulierungen
finden, deren grundsätzliche Richtigkeit den späteren Generationen zum un-
entbehrlichen Material wird. Wir verlangen nach Stetigkeit! Die Architektur
formuliert, muß neu formulieren, um die neuen Verhältnisse voll in sich
tragen zu können.
An diesem Wendepunkt fragt man unwillkürlich: In welcher Situation be-
findet sich die deutsche Architektur?
Überblick: Man muß erkennen, daß in der Bewegung, die um die Jahrhun-
dertwende die Architektur erfaßte — und in deren Fahrwasser heute noch der
große Strom segelt —, das Kunstgewerbe die Oberhand bekam. Das
hatte zur Folge: Nicht die Architektur kam zur Herrschaft, sondern das Kunst-
gewerbe! Es ist kein Zufall, daß die meisten wegbahnenden Architekten dieser
Zeit vom Kunstgewerbe oder doch von der Innendekoration herkamen. Ver-
suchen wir Vor- und Nachteile der kunstgewerblichen Infiltration klarzu-
legen: Das Kunstgewerbe geht von der Form aus. Das Kunstgewerbe reinigte
mit der Durchführung des Kampfrufes: Zweckform gegen Stilform den
deutschen Boden am radikalsten von allen umliegenden Ländern von den
Klichee gewordenen Stilnachahmungen. Ein gewisses Niveau von Gerät-
schaft und Innenraum ist soweit Selbstverständlichkeit geworden, daß auch
der letzte deutsche Spießer etwa vor den Jugendstiliaden der Pariser Kunst-
gewerbeausstellung eine erhabene Überlegenheit empfand.
Allein über Nacht hat sich mit der, die Herrschaft antretenden Architektur
die Problemstellung geändert. Man fragt nicht mehr lang: Zweckform oder
Stilform. Man zerbricht sich nicht mehr den Kopf, einen formalen Stil zu
finden, wie es im Gefolge der kunstgewerblichen Fragestellung immer wieder
geschah. (Übrigens taucht das Suchen nach einem einheitlichen Zeitstil im
Augenblick auf, als verschiedene Stilformen nebeneinander verwendet werden,
und ist bis in das 3. Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zurückzuverfolgen.) Fast
bis zur Gleichgültigkeit gegen die Form (Reaktionserscheinung) herrscht für
den neuen Architekten nur Bedürfnis, Baukosten und Zahl (Berechnung)!
Für einen wirklich neuen Stil dürften das allerdings die besten Helfer sein. —
Wir sind mit der Bewegung, die wir die kunstgewerbliche nennen, aufge^
wachsen, und voll anerkannt sei, was sie uns schenkte: Reinigung des Haus-
rats, verfeinerte Gegenständlichkeit, Belebung fast aller Materialien: vom Me-
tall über edle Hölzer bis zu den Textilien, bis zu den Oberflächenreizen der
Keramik, bis zum Verputz einer Mauer! — Nicht vergessen sei die architek-
tonische Reinigung des Hauses, wenn sie auch einer allzu kissenfreund-
lichen Boudoirstimmung nicht entging.
Doch muß einmal klar gesagt werden: Die Kunstgewerbebewegung hat sich
totgelaufen! Und nicht erst seit heute! Die „Werkstättenkultur“, die mit den
Geschmacksnerven eines verfeinerten Bürgertums rechnete, ist am Ende.
Am deutlichsten zeigt sich das an der zuerst zu Bedeutung gelangten „Wiener
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