Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0301
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Heft 9
DOI Artikel:Heise, Carl Georg: Schwedische Malerei der Gegenwart
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Beleg angefügt, der selbst in der Abbildung noch zu sprechen vermag. Ernst
Josephson ist bei aller großen Begabung zur Zeit seines öffentlich anerkannten
Wirkens einer jener unruhigen Sucher nach einer weltgültigen Kunstsprache
gewesen, die er in Frankreich, Spanien und Deutschland glaubte finden zu
können, die ihn Werke hohen Ranges, aber eigentümlich wechselnden und
durchaus unschwedischen Kunstcharakters schaffen ließ, die seinen Namen
der schwedischen, niemals aber der europäischen Kunstgeschichte eingeschrie-
ben hätten; denn auswärts gilt nur, wer aus Eigenem gibt. Dies Eigene aber
brach erst hervor, als die Hemmungen nordländischer Mentalität in schwerer
geistiger Erkrankung fielen. Die mühsam angeeignete Weltsprache war ver-
lernt und aus den einst verschütteten Quellen brach eine visionäre, echt
nordische Gestaltungskraft hervor, die neben wirren, von Krankheit entstellten
Werken andere von befreiter Hellsichtigkeit und inniger Beseelung entstehen
ließ, die ihren Platz unmittelbar neben Munch haben, ohne daß ein äußerer
Kontakt zwischen beiden Künstlern bestand. Das Bildnis der Frau Rubenson
aus gesunden Tagen läßt an Renoir und Leibi denken, unter der Hülle ge-
schickter modischer Mache — eine herrliche Farbigkeit! — fühlt man die Un-
sicherheit des Suchenden, der über der gelungenen Einzelheit nicht völlig
zum überzeugenden Gesamtbild vordringt. Nur die Augen leuchten mit visio-
närer Kraft. Daneben stelle man das Damenbildnis des Stockholmer National-
Museums aus der Zeit der Krankheit. Alles ist eigen und aus einheitlichem
Geist. Mensch und Natur verschmilzt in eines. Auf schimmerndem weißem
Grunde funkeln geisterhaft wenige bunte Farben, das Gesicht hat nicht nur
ahnende Augen wie bei Frau Rubenson, sondern der Kopf und fast die ganze
Gestalt sind durchleuchtet von magischem Licht, das von den Tiefen der
Seele kündet. Dies Bild ist der Schlüssel zu den schlummernden künstlerischen
Kräften schwedischen Volkstums.
Richard Seewald
Josephson ist bei aller großen Begabung zur Zeit seines öffentlich anerkannten
Wirkens einer jener unruhigen Sucher nach einer weltgültigen Kunstsprache
gewesen, die er in Frankreich, Spanien und Deutschland glaubte finden zu
können, die ihn Werke hohen Ranges, aber eigentümlich wechselnden und
durchaus unschwedischen Kunstcharakters schaffen ließ, die seinen Namen
der schwedischen, niemals aber der europäischen Kunstgeschichte eingeschrie-
ben hätten; denn auswärts gilt nur, wer aus Eigenem gibt. Dies Eigene aber
brach erst hervor, als die Hemmungen nordländischer Mentalität in schwerer
geistiger Erkrankung fielen. Die mühsam angeeignete Weltsprache war ver-
lernt und aus den einst verschütteten Quellen brach eine visionäre, echt
nordische Gestaltungskraft hervor, die neben wirren, von Krankheit entstellten
Werken andere von befreiter Hellsichtigkeit und inniger Beseelung entstehen
ließ, die ihren Platz unmittelbar neben Munch haben, ohne daß ein äußerer
Kontakt zwischen beiden Künstlern bestand. Das Bildnis der Frau Rubenson
aus gesunden Tagen läßt an Renoir und Leibi denken, unter der Hülle ge-
schickter modischer Mache — eine herrliche Farbigkeit! — fühlt man die Un-
sicherheit des Suchenden, der über der gelungenen Einzelheit nicht völlig
zum überzeugenden Gesamtbild vordringt. Nur die Augen leuchten mit visio-
närer Kraft. Daneben stelle man das Damenbildnis des Stockholmer National-
Museums aus der Zeit der Krankheit. Alles ist eigen und aus einheitlichem
Geist. Mensch und Natur verschmilzt in eines. Auf schimmerndem weißem
Grunde funkeln geisterhaft wenige bunte Farben, das Gesicht hat nicht nur
ahnende Augen wie bei Frau Rubenson, sondern der Kopf und fast die ganze
Gestalt sind durchleuchtet von magischem Licht, das von den Tiefen der
Seele kündet. Dies Bild ist der Schlüssel zu den schlummernden künstlerischen
Kräften schwedischen Volkstums.
Richard Seewald