Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0432
DOI issue:
Heft 12
DOI article:Grohmann, Will: Die Kunst der Gegenwart: auf der Internationalen Kunstausstellung Dresden 1926
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0432
einheitlicher sein. Zu allen Zeiten hat es höchstens ein Dutzend wesentlicher
Persönlichkeiten gegeben, und wie wäre es heute anders! Aber die Kenner-
schaft genügt so wenig wie die historische Methode, den Tatsachen der mit-
erlebten Welt gerecht zu werden, und niemand könnte es heute schon ver-
antworten, aus dem Parallelogramm der Kräfte den einen oder den anderen
Antrieb herauszunehmen. Wir stellen die Übereinanderschichtung ganz ver-
schiedener Tendenzen auch in anderen Epochen fest, so wie wir zu allen
Zeiten Menschen beinahe aller Zeitangehörigkeiten wahrnehmen. Es wäre ver-
früht, mit Bestimmtheit einen Weg als den allein zum Ziele führenden zu
bezeichnen, denn wer weiß das Ziel? Bauen wir es nicht mit durch unsere
dauernd sich erneuernden Erkenntnisse und Erfahrungen? Falsch wäre es
auch, die Gegenwart an der Vergangenheit zu messen. Wer Neues schafft,
muß zunächst rückwärtiges Terrain aufgeben, und man muß sich halten an
das was da ist, nicht an das was fehlt. Als Cezanne seine Bilder ausstellte,
glaubte sich die Öffentlichkeit verhöhnt; heute hat sie langsam den Maler
eingeholt. Der schöpferische Mensch ist immer voraus und wartet auf seine
Zeit. Und immer war der Kreis der Gläubigen klein, auf mehr als zehn bis
zwanzig Verstehende kann kein Künstler rechnen. Niemand ist verpflichtet,
an Kunst zu glauben. Wer es tut, findet vielleicht eine Rechtfertigung
seines Glaubens. Dies aber wäre der einzige Beweis.
E. L. Kirchner. Stehender Akt
Persönlichkeiten gegeben, und wie wäre es heute anders! Aber die Kenner-
schaft genügt so wenig wie die historische Methode, den Tatsachen der mit-
erlebten Welt gerecht zu werden, und niemand könnte es heute schon ver-
antworten, aus dem Parallelogramm der Kräfte den einen oder den anderen
Antrieb herauszunehmen. Wir stellen die Übereinanderschichtung ganz ver-
schiedener Tendenzen auch in anderen Epochen fest, so wie wir zu allen
Zeiten Menschen beinahe aller Zeitangehörigkeiten wahrnehmen. Es wäre ver-
früht, mit Bestimmtheit einen Weg als den allein zum Ziele führenden zu
bezeichnen, denn wer weiß das Ziel? Bauen wir es nicht mit durch unsere
dauernd sich erneuernden Erkenntnisse und Erfahrungen? Falsch wäre es
auch, die Gegenwart an der Vergangenheit zu messen. Wer Neues schafft,
muß zunächst rückwärtiges Terrain aufgeben, und man muß sich halten an
das was da ist, nicht an das was fehlt. Als Cezanne seine Bilder ausstellte,
glaubte sich die Öffentlichkeit verhöhnt; heute hat sie langsam den Maler
eingeholt. Der schöpferische Mensch ist immer voraus und wartet auf seine
Zeit. Und immer war der Kreis der Gläubigen klein, auf mehr als zehn bis
zwanzig Verstehende kann kein Künstler rechnen. Niemand ist verpflichtet,
an Kunst zu glauben. Wer es tut, findet vielleicht eine Rechtfertigung
seines Glaubens. Dies aber wäre der einzige Beweis.
E. L. Kirchner. Stehender Akt