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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 14
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Roh, Franz: Alexander Kanoldt
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0503

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Bergsons und der „Lebensphilosophie“, ja an der neuen Physik, soweit sie
alles Dynamische austreibt und das gesamte Geschehen als Addition von
Zuständen auffaßt: die „starre Vierdimensionalität“, die den Begriff der Zeit
nicht mehr brauchen kann und ihn als vierte Dimension einreiht.
Was drittens schon angelegt war, aber ebenfalls immer reiner hervortrat,
war der sinnliche Wohlklang der Farbe. Im Gegenschlage gegen den allzu
sinnlichen oft sensualistischen Impressionismus hatten sich Viele verleiten
lassen, in einen gläsernen, blechernen Anstrich zu verfallen, wenn nur die
Großform als solche saß. Andere hatten mit einer rüden, afrikanischen Farb-
kraft eingesetzt, die zwar in großen Flächen zusammenhielt, aber ohne jede
Zwischenstufung blieb. Schon den kubistischen Bildern Kanoldts aber, denen
wahrlich Sichverzetteln und Nüancenjägerei nicht nachgesagt werden kann,
ist wohltuende Sättigung und Abstufung der Farbe eigen, die in sinnlicher
Breite schimmert, ohne ihre formale Spannkraft einzubüßen. Zwar hat mit
der letzten Periode die Farbe ihre substanzielle Schwere verloren, um, wie
das im Zuge der Zeit liegt, einer mehr metallischen Zügigkeit Platz zu machen,
aber sie hat bei klarster, unverschwommener Auseinanderlegung in breithin
herrschende Lokalfarben ihren Sättigungsgrad, ihre tiefklingende Stimme nie
vermindert, eher gesteigert. Und bei aller immer kristallischer heraustretenden
Zeichnung und Raumaufklärung ist die Farbe immer primär geblieben, so-
daß mit ihr in einem Zuge gezeichnet, modelliert, belichtet, beschattet wird. Im
Gegensätze zu Schrimpf etwa blieb der spezifische Reiz der Ölfarbe an jeder
Stelle wirksam.
Kanoldts Kunst ist die Kunst des Ausgleichs, der Balance, der Mitte. Nicht
der goldenen Mittelstraße, die aus Schwäche beschritten wird, sondern des
scharfen Grats, neben dem rechts und links der Abgrund steht. Hier kann nur
wandern, wer nicht genialisch nach rechts und links ausbiegt, sondern mit
klarem Instinkt und innerer Präzision am Werk ist, sich von seinen privaten
Nerven oder Gelüsten keinen Streich spielen läßt. Kanoldt scheint weiter auf
diesem „Ausgleich aus Kraft“ aufbauen zu wollen. Er setzt in den klarformigen
Bau seiner Arbeiten jetzt greifbare Wirklichkeit, so greifbar bis ins einzelne,
daß man sich nach Betrachtung anderer Bilder vorkommt wie ein Mensch,
dessen verschleimte Sinnesorgane plötzlich gereinigt wurden. Während alles
vage Ungefähr gänzlich verabschiedet wurde, bleibt in den guten Bildern eine
absolute Harmonie von Raum, Form und Farbe: Nie wird Wirklichkeit
mit der veristischen Brutalität hingesetzt, die als Entlarvung figurieren will.
Kanoldt malt zwar alles genau nach der Natur, aber es entsteht ein Bau. Der
Maler zeigt in seinem Bildgefühl geheime Sympathie mit der eisernen Regel-
haftigkeit der Stereometrie und der Maschine, ohne hieraus einen abstrakten
Kult machen oder das Gefühl fürs Kreatürliche auslöschen zu wollen. Er hat
die Abstraktionskraft der kubistischen Zeit, durch die wir schritten, aufbehalten
und doch nie im geringsten die Eigengesetzlichkeit der Objekte demoliert,
die er aufs neue wieder einsetzte: wie ein Komponist fugierter Chöre, der ganz
der Architektur der Fuge folgt, dabei aufs peinlichste die Eigenkraft der mensch-
lichen Stimme und des gegebenen Textes wahren will.
Kanoldt bindet unerbittliche Scharfschnittigkeit an die wohlig gleitende
Schwellform. Über einer nordisch bohrenden Eindringlichkeit, wie man sie
bei seinen besten Bildern findet, ruht eine römerhafte Gelassenheit und Monu-
mentalität. Ein Mensch unserer Zeit, der doch alle Kultur alter Bildmittel in
sich aufgenommen zu haben scheint. Ein Miteröffner neuer Möglichkeiten und
zugleich — mit den typischen Grenzen — ein Akademiker im Sinne des Geklär-
ten und Gemessenen, etwa wie Ingres einer war, den Kanoldt verehrt.

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