Bankauer Altar (um 1370, Nr. 7) erheblich verschoben (Abb. 2). In lebhafter
Freude hat sich das Krönungspaar aus der Relieffläche gedreht, der Baldachin
springt vierkantig vor, und im Schoß wirft ein bewegtes Faltengeschiebe tiefere
Schattenschläge in die Masse. Der Geist der Bewegung greift über die Begleit-
apostel zu den gemalten Heiligen der Flügel hinüber: jetzt stemmt Paulus sein
Buch in die Höhe, jetzt ist der Täufer halbnackt und weist lehrhaft auf das
(fehlende) Lamm, und in den (1601 übermalten) Flügelheiligen kämpft die gotische
Linie einen schweren Kampf mit den Tuchgehängen der Neuzeit. Erst von hier
aus läßt sich Fühlung nehmen mit dem Stilkreis, den Wiese den Löwen-
madonnenkreis genannt hat. Denn eines seiner strahlenden Stücke, die
Marienkrönung aus Kertschütz (Nr. 68), ist wohl die erste Umbildung der
Gruppe in den Bankauer Typ und deshalb wohl doch erst um 1350 anzusetzen.
Wichtiger aber ist, daß dieser Kreis zum erstenmal einen spezifisch schlesischen
Gefühlsinhalt gestaltet, eine beinahe frühgriechische Heiterkeit, die in der Herms-
dorf e r Mariengruppe ein Wunder festlicher Spielerei hervorgebracht hat (Nr. 87).
Wie sich nun hier die Entwicklung bis ins Ende des Jahrhunderts vollzog, etwa
von den Münsterberger Reliefs (um 1350, Nr. 73—76) zu den Ursulinenreliefs (um
1370, Nr. 80—84), die eine innere Analogie zu der Entwicklung etwa von Gmünd
zum Augsburger Südportal hat, kann aus Raummangel nicht erörtert werden.
Doch sei erwähnt, daß die Umschau nach solchen Stücken eine Reihe neuer
Funde zutage brachte: Neben der stattlichen Madonna aus Altstadt (Nr. 77) die
Relieffigur aus Gugelwitz (Nr. 71), von der eine Madonna aus Breslauer Privat-
besitz eine fast wörtliche Kopie ist (Nr. 88), und das Kruzifix aus Wartenberg
(Nr. 101), das mit dem Kruzifix des Kunstgewerbemuseums (Inv. 4470) auf das
engste zusammengeht.
Je intimer die Stücke dieses Kreises aber werden, um so befreiender wirkt
es, daß sich der Stil des Jahrhunderts in seiner reinsten Form doch in Monu-
mentalwerken niedergeschlagen hat, wie sie die überlebensgroßen Heiligen aus
der Magdalenenkirche zu Breslau darstellen. Ein Umriß von tiefer gesang-
licher Reinheit faßt den ganzen plastischen Gehalt der Magdalena (Abb. 3, Nr. 44)
und an seinem Maßstabe wird die linde Biegung des Ärmelüberfalls doppelt
fühlbar. Wie dann die Hände aus dem Mantel hervorgehen und sich um das
Salbgefäß legen, das hat etwas so Wesenloses, daß man hier, wenn irgendwo,
der stillen mystischen Versenkung teilhaft wird. Der zugehörige Johannes (Abb. 4,
Nr. 46) von der gleichen Art. Wenn er die Variation kreisender Mittelfalten in
den Linienrahmen einführt, so geschieht es mit jenem Zartgefühl, das die ver-
tikalen Bahnen nicht stört und sich mit Hingebung in den „Parallelfaltenstil“
legt, mit dem etwa die Regensburger Madonna (München, Nat.-Mus.) das 14. Jahr-
hundert einleitet. Schon diese Momente rechtfertigen die zeitliche Herabsetzung
auf etwa 1340, die Pinder neuerdings bestätigt hat. Vielleicht aber läßt sich
aus der Tatsache, daß sich im Mittelschiff der Kulmer Pfarrkirche (Westpr.) mehr
oder weniger freie Umarbeitungen dieser Figuren erhalten haben, die sicherlich
vor 1370 liegen, einmal ein sicherer Anhalt gewinnen1. Die übrigen Figuren
folgen in zeitlichem Abstand bis zu Andreas und Paulus (Nr. 59, 58), in denen
sich langsam der Charakterkopf enthüllt, bis dann der ikpostel mit dem Meister-
zeichen (Nr. 50) die hohe Gehaltenheit bis zur Auflösung erweicht hat. Ein
kleiner Schritt noch, und St. Peter und Paul aus Görlitz bringen den Umschlag
(Nr. 47, 48). Der langschleifende Kontur ist zertrümmert, ein tiefes Falten-
quellen zieht die Figur in die Breite, und die Köpfe hat ein fanatischer Wille
nach eigensinniger Charakterisierung beinahe zerklüftet. In welche grauenhafte
Tiefe die Kunst auf diesem Wege geraten konnte, zeigt der Cruzifixus des
3 Abbildungen in: Bau- und Kunstdenkmäler d. Prov. Westpreußen, Bd. V—VIII, Beil. 6.
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Freude hat sich das Krönungspaar aus der Relieffläche gedreht, der Baldachin
springt vierkantig vor, und im Schoß wirft ein bewegtes Faltengeschiebe tiefere
Schattenschläge in die Masse. Der Geist der Bewegung greift über die Begleit-
apostel zu den gemalten Heiligen der Flügel hinüber: jetzt stemmt Paulus sein
Buch in die Höhe, jetzt ist der Täufer halbnackt und weist lehrhaft auf das
(fehlende) Lamm, und in den (1601 übermalten) Flügelheiligen kämpft die gotische
Linie einen schweren Kampf mit den Tuchgehängen der Neuzeit. Erst von hier
aus läßt sich Fühlung nehmen mit dem Stilkreis, den Wiese den Löwen-
madonnenkreis genannt hat. Denn eines seiner strahlenden Stücke, die
Marienkrönung aus Kertschütz (Nr. 68), ist wohl die erste Umbildung der
Gruppe in den Bankauer Typ und deshalb wohl doch erst um 1350 anzusetzen.
Wichtiger aber ist, daß dieser Kreis zum erstenmal einen spezifisch schlesischen
Gefühlsinhalt gestaltet, eine beinahe frühgriechische Heiterkeit, die in der Herms-
dorf e r Mariengruppe ein Wunder festlicher Spielerei hervorgebracht hat (Nr. 87).
Wie sich nun hier die Entwicklung bis ins Ende des Jahrhunderts vollzog, etwa
von den Münsterberger Reliefs (um 1350, Nr. 73—76) zu den Ursulinenreliefs (um
1370, Nr. 80—84), die eine innere Analogie zu der Entwicklung etwa von Gmünd
zum Augsburger Südportal hat, kann aus Raummangel nicht erörtert werden.
Doch sei erwähnt, daß die Umschau nach solchen Stücken eine Reihe neuer
Funde zutage brachte: Neben der stattlichen Madonna aus Altstadt (Nr. 77) die
Relieffigur aus Gugelwitz (Nr. 71), von der eine Madonna aus Breslauer Privat-
besitz eine fast wörtliche Kopie ist (Nr. 88), und das Kruzifix aus Wartenberg
(Nr. 101), das mit dem Kruzifix des Kunstgewerbemuseums (Inv. 4470) auf das
engste zusammengeht.
Je intimer die Stücke dieses Kreises aber werden, um so befreiender wirkt
es, daß sich der Stil des Jahrhunderts in seiner reinsten Form doch in Monu-
mentalwerken niedergeschlagen hat, wie sie die überlebensgroßen Heiligen aus
der Magdalenenkirche zu Breslau darstellen. Ein Umriß von tiefer gesang-
licher Reinheit faßt den ganzen plastischen Gehalt der Magdalena (Abb. 3, Nr. 44)
und an seinem Maßstabe wird die linde Biegung des Ärmelüberfalls doppelt
fühlbar. Wie dann die Hände aus dem Mantel hervorgehen und sich um das
Salbgefäß legen, das hat etwas so Wesenloses, daß man hier, wenn irgendwo,
der stillen mystischen Versenkung teilhaft wird. Der zugehörige Johannes (Abb. 4,
Nr. 46) von der gleichen Art. Wenn er die Variation kreisender Mittelfalten in
den Linienrahmen einführt, so geschieht es mit jenem Zartgefühl, das die ver-
tikalen Bahnen nicht stört und sich mit Hingebung in den „Parallelfaltenstil“
legt, mit dem etwa die Regensburger Madonna (München, Nat.-Mus.) das 14. Jahr-
hundert einleitet. Schon diese Momente rechtfertigen die zeitliche Herabsetzung
auf etwa 1340, die Pinder neuerdings bestätigt hat. Vielleicht aber läßt sich
aus der Tatsache, daß sich im Mittelschiff der Kulmer Pfarrkirche (Westpr.) mehr
oder weniger freie Umarbeitungen dieser Figuren erhalten haben, die sicherlich
vor 1370 liegen, einmal ein sicherer Anhalt gewinnen1. Die übrigen Figuren
folgen in zeitlichem Abstand bis zu Andreas und Paulus (Nr. 59, 58), in denen
sich langsam der Charakterkopf enthüllt, bis dann der ikpostel mit dem Meister-
zeichen (Nr. 50) die hohe Gehaltenheit bis zur Auflösung erweicht hat. Ein
kleiner Schritt noch, und St. Peter und Paul aus Görlitz bringen den Umschlag
(Nr. 47, 48). Der langschleifende Kontur ist zertrümmert, ein tiefes Falten-
quellen zieht die Figur in die Breite, und die Köpfe hat ein fanatischer Wille
nach eigensinniger Charakterisierung beinahe zerklüftet. In welche grauenhafte
Tiefe die Kunst auf diesem Wege geraten konnte, zeigt der Cruzifixus des
3 Abbildungen in: Bau- und Kunstdenkmäler d. Prov. Westpreußen, Bd. V—VIII, Beil. 6.
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