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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 19
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Fechter, Paul: Der Landschafter Corinth
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0651

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Leben schon das Wort des Predigers steht: „Denn alles Fleisch, es ist wie
Gras“, reißt Corinth mit der Geistigkeit des Einfachen, ohne es selbst zu wissen,
das Tor des Geheimnisses weiter auf, als seit Hans von Marees irgendeiner der
Zeitgenossen es je vermocht hatte.
Man hat diese späten Landschaften Corinths Tribut an den Expressionismus
genannt, hat behauptet, daß ihre tiefe, starke Farbigkeit ganz äußerlich von
den Tendenzen der Jungen her übernommen wäre. Das eine ist richtig, das
andere ist falsch. Ein Mensch wie Corinth kann nicht übernehmen, es sei
denn, daß er zur Parodie greifen will. Sein Tun bestimmt nicht er oder sein
Wille, sondern das Schicksal, eben dieser Mensch in eben diesem Stadium der
Entwicklung zu sein. Richtig ist jedoch, daß in diesen Bildern vom Walchen-
see, in diesen späten Aquarellen aus den Jahren nach dem Kriege der Expres-
sionismus seinen bisher höchsten Gipfel erklommen hat. Sofern nämlich
Expressionismus als Kunst des Ausdrucks verstanden wird. In diesen späten
Landschaften Corinths ist das, was die im Alter ihm folgende Generation mehr
oder weniger bewußt gewollt und gefordert hatte, von einem Menschen ohne
Bewußtheit unter dem Zwang seines menschlichen Schicksals einfach und
natürlich ohne Tendenz und in gleicher Weise malerisch wie seelisch ver-
wirklicht worden. Lovis Corinth ist es gewesen, der in seinen Landschaften
(und daneben in ähnlicher Weise in seinen Porträts) gezeigt hat, wie der
Expressionismus mit Notwendigkeit die seelische Konsequenz des Impres-
sionismus sein muß, sobald man mit dem Leben Ernst macht. Dieser ost-
preußische Gerberssohn ist in seiner Einfalt wie ein Stummer des Himmels
durch eine Zeitwende schärfster und tiefster Art gegangen. Er konnte sie
nicht begreifen; denn er war kein Mensch der Bewußtheit und des Worts;
aber er hat sie gelebt. Was Leben war an diesen Jahrzehnten von 1880 bis
1925, was zutiefst in der Seele, nicht im Geist der Menschen und der Zeit vor-
ging, das hat Lovis Corinth in seinem Werk und vor allem in seinen Land-
schaften gemalt. Die Bilder vom Walchensee sind die tiefste Rechtfertigung,
die unsere Zeit seit Hans von Marees jemals geschenkt bekommen hat.
 
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