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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 19
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Schrade, Hubert: Eine fränkische Muttergottes
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0658

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überkreuzten Beinen auf dem linken Arm der Mutter sitzt, ähnelt sehr dem der
römischen Madonna. Die Faltenfülle, die Draperie der Gewänder sind ebenfalls
verwandt. Aber die Königshofener Figur steht schon dicht vor dem Stil der
1480er Jahre, den Pinder zuerst genau beschrieb. Seine komplizierteste Leistung
ist die Maria von Dangolsheim. In die Gewandmassen der Königshofenerin ist
bereits Bewegung gekommen, die Gegensätze zwischen Höhen und Tiefen sind
stärker geworden als bei der römischen Figur. Wie das Mantelende vom rechten
Arm zum linken herübergezogen wird, das läßt schon die Ablösung der Teile vom
figuralen Kern ahnen, die bei der Dangolsheimerin zur freien Unterhöhlung des plasti-
schen Gebildes fortschreitet. Stilgeschichtlich steht die Madonna von Königshofen
etwa zwischen der Multscherschen Maria in Sterzing und der Dangolsheimerin1.
Wir zogen zur Bestimmung des römischen Werks, das aus Würzburg stammen
soll, Arbeiten heran, die mit Würzburg nichts zu tun haben. Das ist charak-
teristisch. Obwohl wir eine ganze Reihe Namen würzburgischer Schnitzer
kennen2 3, wissen wir nichts von ihren Leistungen. Wenn die Provenienzangabe
von Munoz richtig ist, nützt sie doch nichts. Wir haben keine Möglichkeit, die
würzburgische Herkunft der Statue zu beweisen. Königshofen ist zwar von
Würzburg beliefert worden, aber niemand kann sagen, ob gerade die Mutter-
gottes aus der Bischofsstadt kam. Und daß ihr Meister auch die römische Figur
gearbeitet haben sollte, wäre möglich; der Mann könnte mit der Zeit weiter-
geschritten sein; aber das bliebe bei dem mangelnden Vergleichsmaterial eine
wertlose Hypothese.
Der Schnitzer der römischen Statue mag in Würzburg tätig gewesen sein.
Wir haben ihn dennoch als Landfremden anzusprechen. Nach dem Verfall der
Würzburger Hütte verschrieb sich die Stadt bisweilen auswärtige Künstler zu
gelegentlicher Arbeit. Wir kennen den Fall des Frankfurters Eberhard Friede-
berger8. Vielleicht verhielt es sich ähnlich mit unserem Schnitzer.
Munoz hat, wie erwähnt, zur Stilbestimmung der römischen Statue auf nieder-
ländische Plastiken hingewiesen. Ich vermag an seinen Beispielen den Zu-
sammenhang nicht zu erkennen. Aber spannt man den Rahmen weiter, so ist
vielleicht eine Beziehung nicht ausgeschlossen. Wenigstens erscheint mir der
Kopftypus der Berliner Marienstatuette, die Demmler neuerdings in den Kreis
des Lautenbacher Meisters stellte, wie eine Fortführung des römischen4. Es
ist dieselbe etwas dörperliche Sinnlichkeit.
Dürften wir in der römischen Statue eine würzburgische Arbeit sehen, dann
wäre es nach dem Absterben der Hüttenplastik die beste Leistung vor Riemen-
schneider. Sie muß zwischen 1450 und 1460 entstanden sein, könnte also ein gutes
Mittelglied zu Riemenschneider bilden, von dessen Wesensart sie sich allerdings
so sehr unterscheidet, wie sie seinem könnerischen Vermögen nahekommt.'
Ich möchte sie noch als Spätling des „weichen“ Stils auffassen. Sie hat noch
die süße Sinnlichkeit der „Schönen Madonnen“, freilich nicht mehr deren höfisch-
schwüle Grazie. Die Anmut ist unbeweglicher, träger, dörperlich-draller ge-
worden. Ihre Erscheinung wirkt planer, ohne die existentiellen Hintergründe,
die den verlockenden Reiz der „Schönen Madonnen“ ausmachen. Von ihnen hat
sie noch ihre Kindhaftigkeit behalten. Die Augen blicken etwas stumpf, nicht
mehr mit der zauberischen Unschuld der „Schönen Madonnen“, noch nicht mit
der seelischen Belastung der Gestalten Riemenschneiders.
1 Vergleichbar wäre auch noch die Maria der katholischen Privatkapelle zu Deusdorf, B. A. Ebern.
Bayer. Inv. U. F. III, Heft 15, S. 45, Abb. 38. Sie ist bäuerisch-primitiver, infolgedessen hinter
dem Zeitstil zurückgeblieben. Das Inventar glaubt an Bamberger Provenienz.
2 Jetzt zusammengestellt bei W. Rolfs, Die Grünewaldlegende. Leipzig 1923.
3 Bayer. Inv. U. F. III, Heft 12, S. 250.
4 Jahrbuch der preuß. Kunsts. 1925, S. 170.

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