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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 19
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0662

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B aukunst

und deswegen kann man seiner Auswahl,
die vom Recht des künstlerischen Subjekti-
vismus einen recht umfangreichen Ge-
brauch macht, toleranter gegenübertreten.
Seine eigenen Schöpfungen, wie die be-
kannte Fabrik der Kölner 'Werkbundaus-
stellung 19x4 oder die Schuhleistenfabrik
„Fagus“ — schon ign m. W. der erste
betonte Horizontalbau Deutschlands —
stehen den bekannten A.E.G.-Schöpfungen
von Peter Behrens, den chemischen Fabri-
ken Hans Poelzigs und den ausgezeichne-
ten Bauten der Hirsch-Kupferwerke von
Paul Mebes gleichwertig zur Seite. Sie er-
füllen wie diese nicht nur die selbstver-
ständliche Forderung vollkommener Sach-
lichkeit und Zweckmäßigkeit in ornament-
loser Schlichtheit, sondern kommen dar-
über hinaus zu einer bewußt erarbeiteten
absoluten architektonischen Form.
Wie kann derselbe Künstler seine eige-
nen Werke, solche von Taut und Loos
mit dem hoffnungslos dilettantischen Ge-
stammel eines Knud Lönberg-Holm (Däne-
mark), Theo von Doesburg und C. van
Esteren (Holland) und Vit Obrtel (Prag) im
gleichen Bande vereinen? Genügt es denn,
daß ein Bau auf Ornamente verzichtet, daß
er lediglich die Horizontalen überwiegen,
Fenster und Türen unvermittelt in die
Mauerfläche einschneiden läßt, um ihn
„modern“, ja mehr als das, um ihn zum
Kunstwerk zu stempeln? Sind nicht einfach
die Qualitätsunterschiede zwischen einem
Mies van der Rohe einerseits und den völ-
lig nichtssagenden Banalitäten von Nieder-
moser (Wien), Schneider (Hamburg) wich-
tiger als die zufällige „Richtung“ des Ar-
chitekten? Haben wir nicht genug von der
Überwindung eines Jugendstiles? Selbst
in Deutschland, dem Lande der kritiklosen
Nachbildung aller neu-holländischen Bau-
kunst, ist allmählich ein Unterschied zwi-
schen den ernst zu nehmenden und mei-
sterlich durchgearbeiteten Schöpfungen
von J.J. P.O ud und W. M.Dudok (Hilver-
sum) einerseits und dem Dilettantismus der
jungen Amsterdamer wie de Klerk klar ge-
worden. Die rührende Ahnungslosigkeit je-
ner deutschen Baudilettanten, die geblen-
det von der „Modernität“ der Holländer
alles Holländische eifrig und talentlos nach-
ahmen, die glauben mit dem flachen Dach
und der Verwendung von Klinkern seialles
getan, ist glücklicherweise im Schwinden
begriffen. Schon gebärdet man sich nicht
mehr ganz so wild, schon blickt man auch
über andere Grenzen.
Um Mißverständnissen zu begegnen: Wir
sind ehrlich davon überzeugt, daß alles,
was in der Architektur lebensfähig und zu-

kunftbildend ist, ungefähr in der Richtung
liegt, die Gropius mit seinen eigenen (ge-
bauten) Werken, die Taut, Poelzig, Bart-
ning, Mebes, im Auslande speziell dieRot-
terdamer Gruppe und ein großer Kreis der
dänischen Architekten vertreten. Übrigens
sind verglichen mit dem Durchschnitt der
stilistischen Situation um xgoo die Unter-
schiede zwischen dem Werk dieser einzel-
nen Künstler nicht so wesentlich, wie sie
selbst annehmen. Aber wir glauben mit
derselben Inbrunst wie an diesen Fort-
schritt auch daran, daß die revolutionäre
Geste allein, das rohe Aufeinander block-
hafter Baumassen, die prinzipielle Verleug-
nung jeder an Tradition auch nur anklin-
genden Form noch nicht die Bedeutung
eines Baumeisters ausmacht, daß die Mo-
tivierung primitivsten Nichtkönnens mit
dem „Rhythmus unserer Zeit“ mit „neuem
kubischem Raumgefühl“ und dem Hinweis
auf Auto und Radio zwar amüsante Lite-
ratur, niemals aber Architektur ist. Und wir
bedauern, daß Gropius in dem Bemühen,
das Neue durchzusetzen, so unkritisch ge-
genüber einer so talentlosen Mitläuferschaft
sein konnte.
Das Buch Behnes, dessen Abbildungen
zum Teil identisch mit denen bei Gropius
sind, der aber seinen Umkreis internatio-
naler zieht, bringt nicht nur Fotos nach
ausgeführten Bauten, sondern auch Ent-
würfe. Uns interessiert vor allen Dingen
seine theoretische Einleitung, denn diese
Ansichten wurden ja nicht von einem Ar-
chitekten, sondern von einem Kunstschrift-
steller gesammelt. Beinahe in allem muß
man Behne widersprechen, aber überall ist
er interessant und vital und beweist, daß er
sich nicht — wie nur allzu viele seiner
analytischen Fachgenossen gerade auf dem
Gebiet der Architektur — durch Phrasen
beeinflussen läßt. Er weist an der Hand
von Selbstzitaten der Künstler nach, wie
uneinheitlich, wie in sich inhomogen die
sogen, neue Bewegung ist, daß z. B. der
Funktionalist, der Rationalist, der Konstruk-
tivist in der Maschine, die sie ja alle drei
bejahen, doch etwas ganz verschiedenes
sehen, daß es nur die Negation der Ver-
gangenheit ist, die sie bindet, daß beispiels-
weise der Einsteinturm von Mendelsohn ge-
rade in der Kritik der Neuholländer nicht
als Zweckbau der Arbeit, sondern als rein
dekorative Geste, als romantisches Denk-
mal betrachtet wird. Auch er überschätzt
noch Wright und seinen Einfluß in Ame-
rika, auch er hat noch nicht den Mut,
zugegeben, daß van de Velde dort, wo
er selbst schuf, wirklich und endgültig
einen Irrweg gegangen ist und wir ihm nur

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