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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 21
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Biermann, Georg: Venedig 1926
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0739

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Von GEORG BIERMANN

Venedig 1926

ES war die 15. Veranstaltung ihrer Art, die in diesen Tagen ihre Pforten schließen
wird. Fünfzehn internationale Ausstellungen im Verlauf von rund dreißig Jahren
in den schönen giardini publici von Venedig, die einsam und abseitig liegen, wenn
nicht die Pavillons der Nationen die Kunst Europas zum Stelldichein versammelt
haben. Eine Angelegenheit, der beinahe etwas Gewohnheitsmäßiges anhaftet, das mit
der ewigen Wiederkehr des gleichen Prinzips gefährlich eng verbunden scheint. Und
dennoch ist diese Internationale in Venedig seltsam jung geblieben. Gerade die dies-
jährige Ausstellung hat das bewiesen, doppelt im Vergleich zu Dresden und München,
die schon dem Raum nach viel geringere Möglichkeiten für repräsentative Wirkung
aufzubringen vermochten, wie sie in Venedig in der kollektiven Verdeutlichung der
Nationen in ihren eigenen Häusern gegeben ist. Außerdem hat es etwas Beruhigendes
für den Genießenden, wenn er auf dem Wege von Volk zu Volk immer einige Schritte
durch die Sonne machen muß. Erst das gibt die richtige psychologische Distanz, und
jedesmal wirkt beim Betreten eines neuen Hauses der erste, zunächst flüchtig erhaschte
Gesamteindruck entscheidend. Auf den kommt es viel mehr an, als man gemeinhin
glaubt. Die einzelnen Bilder können noch so interessant sein — bis zu einem gewissen
Grade bleibt jede dieser nationalen Sonderdarbietungen unvollkommen — überzeugend
prägt sich dem Gedächtnis immer nur das Gesamtbild ein. Die Wahrheit verlangt die
Feststellung, daß gerade in der Beziehung Frankreich alle anderen Pavillons der Na-
tionen um mehr als Haupteslänge überragte. Nicht die Wand mit den herrlichen und
meisterhaft ausgesuchten Utrillos, auch nicht die prachtvollen frühen Porträts von
Degas waren bestimmend, vielmehr mußte die Art überzeugen, wie Wand gegen Wand,
Bild neben Bild zueinander abgestimmt waren, so daß selbst die übliche akademische
Mache im Gesamtklang der Räume nirgends störend hervortrat. Das heißt an einem
vielleicht oft undankbaren und durch mehr als eine Rücksicht belasteten Objekt der
Gesamtdarstellung Regie üben, meisterhaft das Instrument des Theaters beherrschen,
wie es eine solche Angelegenheit verlangt, die doch auch nichts anderes als gutes
Theater sein muß, will sie sich wirklich im Bewußtsein des Beschauers verankern.
Auch im französischen Pavillon hätte man gern 50 °/o der Bilder entbehren mögen,
aber gerade diese waren geschickt dem Gesamtakkord eingefügt, so daß sie weiter
nicht störten, während im deutschen Pavillon bequem 80 % völlig fehl am Orte waren
und eben diese verblüffend den letztlich beschämenden Gesamteindruck hinterließen.
Hier gilt es wirklich abzurechnen. Zugegeben, daß bei der Repräsentation deutscher
Kunst im Jahre 1926 Werke von Beckmann, sechs zum Teil erstklassige Corinths, zwei
Kokoschkas der mittleren und letzten Epoche, Liebermann, Slevogt — um nur die
besten zu nennen, der an dieser Stelle unmögliche „Zuhälter“ von Dix war gottlob
hinter eine Tür gehangen — nicht fehlten, daß man sich von Leibi noch rechtzeitig
aus deutschen Museen drei meisterliche Bildnisse ausgeliehen, entscheidend für die
Gesamtwirkung dieser deutschen Abteilung blieb die Repräsentation des Minderwertigen
(Stuck) oder des völlig Belanglosen innerhalb eines wirklich europäischen Wettstreits,
nicht zu sprechen von Leipziger oder sächsischen Lokalgrößen, die sonst wohl nie
nach Venedig gekommen wären. Namen mögen diese Feststellung erhärten und. be-
weisen, daß so unser schwer geschädigtes Ansehen künstlerisch vor der Welt nicht zu
stabilisieren ist. Denn das entscheidende Bild deutscher Kunst vermittelten keineswegs
die Beckmann, Kokoschka, Corinth usw., sondern eben Stuck (!), Heß, Moll, Nager,
L. v. Hofmann, Walter Tiemann, H. Unger, Hugo Vogel (mit drei anspruchsvollen
Bildern), Plietzsch, Pankok, Urban u. a. m. Und unter den Plastikern sah man zwar
Albiker, Scharff und Kolbe, daneben aber Engelmann, Schlipstein, wieder Stuck (!), Wei-
danz, ähnlich unter den Schwarzweiß-Künstlern Dora Brandenburg, W. Buhe, Erich
Grüner, Adolf Jutz, Sutter, Trumm, Nückel, d. h. zum Teil Namen, die für ernsthafte
Kenner überhaupt keine Vorstellung vermitteln. Kann es da wundernehmen, wenn unter
solcher von Deutschland offiziell gezimmerten Stuckfassade bei den anderen Völkern
der Eindruck zurückbleibt, daß unser Land in der Hauptsache nur künstlerische Kräfte
dritten Ranges besitzt, die nicht einmal innerhalb der Nationen, die wie etwa die
Tschecho-Slowakei oder Polen erst am Anfang stehen, irgendwie Figur machen können.
So hart auch das Urteil über diesen deutschen Pavillon in Venedig lauten muß, so
soll es dennoch nicht an Entschuldigung fehlen. Durch die Zuspitzung der politischen
Situation im letzten Frühjahr blieb für das eigentliche Arrangement nur kurze Zeit der

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