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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 22
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Avermaete, Roger: Der Graphiker Frans Masereel
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0758

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Der Graphiker Frans Masereel

Mit sechs Abbildungen

Von ROGER AVERMAETE


ON dem Masereel vor dem Kriege wissen wir nichts. Im Jahre 1889 in

V Blankenberghe o. Nordsee geboren, lebt er in Gent. Viel ist über seine
Jugendjahre nicht zu sagen. Er dürfte, wie alle flämischen Burschen seines
Alters, getrunken, gelacht und geliebt haben neben der Tätigkeit des Unter-
bewußtseins, Eindrücke und Sensationen aufzunehmen.
Da plötzlich schlägt der Krieg wie eine Bombe in die europäische Kirmes
ein. Er überrascht ihn in der Schweiz, wo er bleibt und Jahre bleiben sollte,
um sich einem Werke hinzugeben, das eines der reichsten zu werden ver-
spricht, die je geschaffen wurden.
Genau betrachtet, ist Masereel vielleicht der einzig große aus dem Krieg
hervorgegangene Künstler. Andere mögen noch stark den Eindrücken jener
Unheilvollen Jahre unterlegen gewesen sein. Einigen Schriftstellern sind diese
Jahre die Geburtsstunde ihres ergreifendsten und höchsten Werkes geworden;
nach einem neuen Gesicht sucht man aber auch bei ihnen vergeblich. Der
Krieg hat gewisse Namen groß, andere klein gemacht, aber eine neue Ur-
sprünglichkeit ersteht: Masereel. Also hätte er ohne diese Erschütterung
seinen Weg nicht gefunden? Gewiß nicht! Denn es scheint, daß der Krieg
in Masereel einen Zustand der ,Revolution“, besser der „revelation“ bedingt
hat. Er hat ihm mit einem Schlage Bewußtsein und Bestimmung gegeben.
Man kann nicht genug auf die Wichtigkeit der politischen Zeichnungen hin-
weisen, die er während des Krieges für „La Feuille“, einer Genfer Tages-
zeitung, schuf. Das Gefühl der Empörung des Menschen über die Unge-
reimtheit des Kollektivverbrechens läßt diese ungeschminkten und von Rache
entflammten Zeichnungen gleichsam entstehen. Die Tat lag in der Wieder-
holung, täglich brachte er eine Zeichnung heraus. Nach dem Durchlesen der
Depeschen blieben ihm täglich nur zwei Stunden für seine Zeichnungen übrig,
die einem graphischen Kommentar der Kriegsnachrichten gleichkommen. Er
hat mir erzählt, daß er bisweilen drauf und dran war, sich den Kopf an der
Wand einzurennen, aus Verzweiflung, innerhalb der gegebenen Zeit etwas zu
finden. Er hielt sich jedoch tapfer, solange das „Feuille“ bestand. Alle Ach-
tung vor solcher Selbstzucht! Damals erwarb er vielleicht seine erstaunliche
Fähigkeit, zu vereinfachen, die heute seine Meisterschaft ausmacht; zweifel-
los aber entdeckte er die Schönheit der aufgewühlten Gegensätze von Schwarz
und Weiß. Darin offenbarte er sich als herber Satiriker, als Visionär und
vornehmlich als ein starker und hellsichtiger Geist. Im Keim findet sich der
ganze Masereel schon in diesen hastig hingeworfenen Zeichnungen, oft lin-
kisch, aber immer treffend und persönlich. —
In seinen Holzschnitten derselben Zeit („Debout les Morts“, „Les Morts
parlent“) bedient er sich einer Technik, die seinen Tuschzeichnungen sehr
nahe kommt: breite, schwarze Flecke, vereinfachte Zeichnung! Im ganzen
durchaus Realist. Ebenso verhält es sich mit seinen ersten Illustrationen
(„Hotel Dieu“ de P. J. Jouve). Dann folgen Schlag auf Schlag jene bedeuten-
den „Erzählungen ohne Worte“ unter dem Titel: „Vingt-cinq Images de la
Passion d’un homme“, „Mon livre d’heures“, „Le Soleil“, „Histoire sans
paroles“, „Idee“. Diese fünf Werke umfassen an nahezu 400 Holzschnitte,
eine Leistung, die nicht ohne Einfluß auf den Stil des Künstlers bleibt. Tech-
nisch macht sich eine fortschreitende Klärung des Stils geltend. Die schwar-

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