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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Lotz, Wilhelm: Möbel und Wohnraum
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0054

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die Tendenz, das Möbel, wenigstens das, was wir
bisher darunter verstanden haben, aufzulösen.

Wie man auf vielen Gebieten der Gestaltung ver-
sucht, statt des Naturmaterials ein sehr weit zu-
gerichtetes Material oder dann auch das Kunst-
material, heranzuziehen, weil man dabei reich-
haltigere Möglichkeiten vorfindet, während man bei
dem Naturmaterial an seine Beschaffenheit sehr
gebunden ist. so sucht man auch beim Möbel nach
neuen Materialien. Wir erinnern an den Trolit-
Schrank von Luckhardt & Anker auf der Pariser
Werkbund-Ausstellung. Bei den abgebildeten Lin-
crusta-Schränken ist nur ein Überzugmaterial ge-
geben, das bestimmte Vorzüge gegenüber dem Holz-
furnier hat und für bestimmte Zwecke wie Kinder-
zimmermöbel. Krankenhausschränke, selbst gegen-
über dem Lack. Vorzüge aufweist. Im großen und
ganzen wird man auf lange Zeit hin im Möbelbau auf
das Holz nicht verzichten können. Die Metall-
Küchenmöbel setzen sich bis jetzt wenig durch. Nur
für einzelne bestimmte Fälle wie Garderoben-
schränke in Betrieben hat sich der Metallschrank
als unentbehrlich gezeigt. Ginsburger zeigte bei
seiner Ausstellung französischen Typengeräts die
Verwendungsmöglichkeit des sogenannten Labor-
metalls im Möbelbau. von denen wir einige Beispiele
auf Seite 70 abbilden.

Die Forderung der Typisierung hat im Möbelbau
einen ganz eigenartigen Weg genommen, der aus
der wirtschaftlichen Struktur des Holzgewerbes zu
erklären ist. Jede Firma hat ihr eigenes Typen-
möbel, jeder Architekt seinen eigenen Typenmöbel-
entwurf. Und bösartig könnte man hinzusetzen:
jeder Architekt hat seinen eigenen Stahlrohrstuhl
entworfen. Aber im Möbelbau ist dieser Wettlauf um
den billigsten und doch besten Möbeltyp zum Vor-
teil ausgeschlagen. Jedenfalls spielt auch hier die
Einstellung des Käufers eine starke Rolle, denn
wenn man sich schon denken könnte, daß man für
Speisezimmer-Beleuchtung oder Schlafzimmer-Be-
leuchtung mit zwei drei Typen von Lampen voll-
kommen auskommen könnte, so will doch jeder bei
der Suche nach den Möbeln seinen besonderen Ge-
schmack entwickeln. Ob in der Zukunft diese Typen
sich untereinander so stark angleichen wie die Büro-
möbel, kann heute noch nicht entschieden werden.

Aber dieser Wettlauf um billige gute Typen hat
gezeigt, daß man sehr stark die Brauchbarkeit in
Rechnung setzt und sich vor allem Gedanken dar-
über macht, wie man Typen so herstellen kann, daß
sie verschiedenartigen Bedürfnissen hinsichtlich der
Anforderung an Raum gerecht werden können und
sich erweitern und ergänzen lassen. So ist eine
ganze Reihe von Kombinationsmöbeln oder, wie man
sie teilweise nennt, Elementmöbeln entstanden.
Wir erwähnen die Versuche von Rubensdörffer &
Gaupp, die Möbel, die Gropius für Feder entworfen
hat, und freuen uns vor allem, daß es nun gelungen
ist, die Möbel von Schuster, die in ihren Kombi-
nationsmöglichkeiten sehr weitgehend sind, serien-
mäßig herzustellen. Sie wurden zuerst in sehr
schöner Weise auf der Ausstellung der Württem-
bergischen Arbeitsgemeinschaft des Deutschen
Werkbundes in der Siedlung Wangen-Stuttgart ge-
zeigt. In der Idee sehr beachtlich sind die Versuche
von Hanns Schwippert in Aachen. Er hat bei seinen
Entwürfen vor allen Dingen daran gedacht, daß sie

von jedem handwerklichen Schreiner leicht aus-
geführt werden können. Er stellt keine Speise- und
Wohnzimmertypen zusammen, sondern nimmt Rück-
sicht auf vielfache Möglichkeiten der Zusammen-
stellung. Aus etwa zwanzig Typen kann er viele
kleine Wohnungen je nach Bedarf zusammenstellen.
Die Preise sind dabei sehr niedrig. Ein Wohnzimmer
mit Tisch, 4 Stühlen. 2 Sesseln, einem Geschirr-
schrank und zwei Bücherstapeln kostete 610 Mark,
zwei Betten, zwei Schränke, ein kleiner Tisch und
zwei Hocker 770 Mark. Es soll nicht verhohlen wer-
den, daß das Aussehen dieser Möbel etwas sehr
rustikal ist, vielleicht weil bei dem Kiefernholz ein-
fache Konstruktionen und gewisse Stärken not-
wendig sind.

Wir halten es für richtig, in dieser Zusammenstel-
lung unsere Leser auch mit einigen Möbeln von
Franz Singer, Wien, bekannt zu machen. In bezug
auf Raumnutzung und Kombinationsmöglichkeiten
stellen sie wohl das Äußerste dar, was erreicht
werden kann. Anregend hierfür sind sicher die sehr
beschränkten räumlichen Verhältnisse der Klein-
wohnungen in Wien gewesen. Daß man aus einem
Speisezimmerschrank zwei Tische und drei Sessel
herausholen kann, wirkt fast wie ein Tischlein-deck-
dich-Scherz. Aber die technische Erfindergabe ist zu
bewundern, und in diesen Schöpfungen stecken
sicherlich viele Anregungen. Auf alle Fälle muß aber
betont werden, daß selbst wenn die funktionelle
Qualität der Teilobjekte unter diesen Kombinations-
möglichkeiten nicht leiden würde, es sehr schwer
sein wird, diese Dinge dauerhaft herzustellen, weil
sie exakt wie Maschinenteile gearbeitet sein müßten.

Wir beschließen unsere Bilderfolge über das
Möbel mit zwei Projekten eines jungen Architekten,
die hinsichtlich der Verwendungsmöglichkeiten der
Räume sehr ausgeklügelt sind. Vor allem ist das
Projekt des Einfamilienhauses interessant, das in
seinem Hauptteil nur aus einem Raum besteht, der
durch Schiebewände und aufklappbare Betten für
die Lebensfunktionen bei Tag und bei Nacht anders
eingeteilt wird. Hier kann man kaum noch von Möbel
sprechen, hier ist das. was das Möbel ersetzt, Appa-
ratur, die dem ganzen Organismus eingegliedert ist.

Kürzlich betrat ich mit einem Architekten einige
Kleinstwohnungen von etwa 40 qm, die er erbaut
hatte und die schon bezogen waren. Man kann sich
kaum vorstellen, wie der Väter Hausrat in diesen
..funktionell" ausgerechneten Wohnungen sich aus-
machte. Es war ein niederschmetternder Eindruck.
Die Menschen hatten wirklich keinen Platz mehr
zum Leben. Ich glaube kaum, daß es überhaupt an-
gängig ist, eine solche Wohnung zu „möblieren".
Hier ist der Architekt durch die Wohnungswirtschaft
gezwungen worden, Wohnungen zu bauen, die
genau ausgerechnet sind und die nur funktionieren
können, wenn man das Möbel ebenso hineinrechnet
und hineinkonstruiert. Abgesehen davon, es ist
ebenfalls rein räumlich ein grausamer Eindruck,
wenn man diese Wohnzellen so an der Treppe über-
einander- und nebeneinandergereiht sich vorstellt.
Jeder darf nur gerade das tun, was der Architekt
sich ausgerechnet hat. Adolf Behne hat ja hier ein-
mal gegen den Zeilenbau geschrieben. Ich kann
seine Beweisführungen, wie ich das schon aus-
geführt habe, nicht teilen, aber ich kann sein Un-
behagen verstehen. Im Grunde genommen ist doch

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