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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Neutra, Richard: Japanische Wohnung: Ableitung, Schwierigkeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0105

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Aufregung und Erregung wird vermieden, die
Japaner sind bei Geishaunterhaltungen voyeurs par
excellence und auf kleinstem Raum. Die begleitende
Musik, die instrumentale wie die vokale, reicht nur
auf kürzeste Distanz, kein Solist entwickelt ein tra-
gendes Vibrato, und resonierende Mauer-
massen, wie für einen schmetternden Primo Te-
noro oder ein wagnerisch besetztes Orchester, sind
weder benötigt noch angemessen.

Räume und Haus sind akustisch gesehen durch
schlaffe Membranen geformt, die in ein leichtes
Rahmenwerk eingezogen sind. Der Boden besteht
aus dickem Belag (Tatami). Ihre Resonanzfähig-
keit ist so gut wie Null, ebenso wie die Schalliso-
lierung gegen Nachbarräume. Geheimgespräche
führt man besser schriftlich, zeigt sich rasch ge-
pinselte Schriftzeichen auf Papier und wirft sie
dann ins Hiabashi, das Holzkohlenbecken. Eine
solche Szene, wie in einem Theaterstück von Na-
kamuro, ist mysteriös und belehrend über die akusti-
schen Eigenschaften des japanischen Hauses. Aber
der Wohner, der japanische Wohnungsverbraucher
lärmt nicht und Geheimnisse teilt er nicht in
schwatzhaft wortreicher Weise mit.

Japanische Kinder sind anders wie ameri-
kanische, nicht in einer bruch- und narrensicheren
Umgebung aufgezogen. Sie sind auf den Kleinraum
und das gebrechliche Material trainiert, behutsam
und nicht lärmend.

Im engsten Beieinandersein belästigen Japaner
einander nicht. Wenn man unbekleidet dem näch-
sten Gast begegnet, während er zum Badezuber
geht, so wünscht man einander nicht guten Morgen
(damit ist ausgedrückt, daß man einander nicht be-
merkt hat). Naturgemäß sieht man hinter den be-
weglichen Scheidewänden des japanischen Hauses
oft Menschen im Neglige, aber man ignoriert es.
Prüderei gibt es nicht und Nacktdarstellung auch in
der Kunst wird vermieden, weil exakter Formalis-
mus nur bekleidete Menschen kennt.

Die Kleidung ist sogar im unbemittelten Haus ver-
hältnismäßig sauber und präzise, möglichst vor je-
dem Gebrauch zu scharfen Bügelfalten aufgeplättet
(im Gegensatz zu malerisch rundlichen Gewand-
formen auf stilisierten alten Holzschnitten), in ge-
preßtem Zustand in genau dafür dimensionierten
„Tansu" (Schubkästen) aufbewahrt, die ihr Breiten-
maß von der standardisierten Stoffbreite der ein-
gelagerten Kimonos übernehmen und als Maßele-
ment auf den Mattenbelag, die Raumgrößen, das
ganze Haus übertragen. Das Kleid wird so das Maß
aller Dinge. — Sogar die Sauberkeit ist hier visuell-
formalistischen Ursprungs, ist nicht symbolisch-
spirituell wie bei den Mohammedanern und Hindus
Südasiens. Unter den dicken blanken Matten,
auf denen man nur mit schneeweißen Tabis geht,
schläft und hockend von Tabletts ißt, liegt der
Staub von Monaten. Die exakte Frauenfrisur, die
über ein negake — einer Seiden- und Papierform —
aufgebaut und mittels Kanzashi und Kushi, Nadeln
und Kämmen, zu einem Monument aufgebaut ist, ist
zu kompliziert, um täglich erneuert zu werden, und
enthält den Staub mehrerer Nächte. Von der Form
der Sauberkeit muß hier noch zum Wesen der
Sauberkeit vorgerückt werden, wenn die japanische
Wohnung modernisiert wird und ihre geruchlose
Wasserinstallation erhält.
 
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