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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Neurath, Otto: Kommunaler Wohnungsbau in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0121

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Wohnungen ermöglicht. In besonders günstigen Fäl-
len, wenn keine gemeinsame Waschküchenbenut-
zung bezahlt werden muß, kommt in einem Ge-
meindeneubau eine Wohnung bestehend aus Wohn-
küche (mit Parkettboden, um den Wohnzweck zu be-
tonen), Wohnraum mit Parkettboden, Vorraum, Klo-
sett, Wasserleitung innerhalb des Wohnverschlus-
ses, mit Gasherd und einem Ofen auf etwa sechs
Mark monatlich zu stehen. Das kann auch ein Ar-
beitsloser bezahlen. Größere Wohnungen, die mo-
natlich 10 bis 14 Mark kosten, sind die Regel, Woh-
nungen zu 25 bis 30 Mark die Ausnahme.

Da die Gemeinde Wien zunächst den Wohnbedarf
breiter Massen befriedigen wollte, begann sie mit
dem Bau kleiner Wohnungen. Erst in den letzten
Jahren haben die Wohnungen an Größe zugenom-
men. Jetzt sind Wohnungen mit drei und mehr Wohn-
räumen häufiger. Auch noch größere Wohnungen
sind in Aussicht genommen. Ärzte und andere Spe-
zialisten haben schon bisher größere Wohnungen
erhalten. Man hofft in absehbarer Zeit jene kinder-
reichen Familien, die zunächst noch kleinere Woh-
nungen erhalten mußten, in größere Wohnungen
übersiedeln lassen zu können, um die kleinen Woh-
nungen den jungen Ehepaaren zuzuweisen. In
Deutschland, wo man gegen diese Wiener Wohn-
bautaktik Bedenken erhoben hatte, beginnt man
jetzt die Wohnungsgrößen sprunghaft zu reduzieren,
Kleinstwohnungen in Aussicht zu nehmen, so daß die
Neuhinzukommenden deutlich sehen, daß man
früher den besser gestellten Familien aus öffent-
lichen Mitteln Wohnungen zur Verfügung stellte und
jetzt erst an die ärmeren Familien denkt. In ab-
sehbarer Zeit dürfte die durchschnittliche Größe
der neugebauten Wohnungen in Wien und Deutsch-
land ungefähr gleich groß sein.

Es ist richtig, daß man in Deutschland wesentlich
größere Zuschüsse hätte leisten müssen, wenn
man hätte billige Kleinstwohnungen bauen wollen.
Das Wohnbauprogramm wäre reduziert worden,
hätte aber wesentlich sozialhygienischer sich aus-
wirken können! Nicht selten sind in die neugebau-
ten Wohnungen Deutschlands Familien mit wenig
Kindern eingezogen und geben sogar manchmal be-
reits Zimmer wieder in Untermiete ab. Dadurch,
daß die Wiener Wohnungen klein und sehr billig
sind, ist das Untermieterwesen in den neuen Woh-
nungen erfolgreich bekämpft worden. Für Einzel-
wohner sorgt die Gemeinde Wien durch Einzelzim-
mer mit Kochnische, die sie für ein paar Mark mo-
natlich abgibt. Eine vergleichende Untersuchung
über die Bewohner der Neubauwohnungen in Wien
und in Städten anderer Länder wäre angezeigt,
ebenso eine über die Lebenslage der Familien, den
Anteil des Mietzinses am Einkommen und ähnliches
mehr. In Wien beträgt der Anteil der Miete etwa
5 v. H. bis 10 v. H., in Deutschland nicht selten 25
v. H., 35 v. H. und mehr. Besonders Angestellte und
gehobene Arbeiter, die etwas auf sich halten, geben
in Deutschland unverhältnismäßig viel für ihre
Wohnung aus.

Die Einfamilienreihenhäuser sind in Wien anfäng-
lich unter Mitarbeit der Siedler erbaut worden. Wenn
man von den ersten Aufwendungen absieht, kommt
gegenwärtig ein Siedlerhaus, das große Wohnküche,
drei Schlafräume und Nebenräume enthält — dazu
kommt ein Garten, der bis 400 qm umfaßt, die jetzt

hinzukommenden Gärten sind meist wesentlich klei-
ner — auf etwa 12 Mark monatlich zu stehen. Das
heißt, die Miete eines Siedlerhauses und einer
ebenso großen Etagenwohnung sind ungefähr gleich
hoch.

Wenn Private eine große Fläche verbauen, zerle-
gen sie sie in viele kleine Parzellen. Viele durch
Mauern gegeneinander abgeschlossene Höfe ent-
stehen. Auch die schärfste Bauordnung kann hier
schwer eingreifen. Wohl aber kann eine radikale
Bauordnung, was aber oft nicht genügend beachtet
wird, sehr viel für die Sozialhygiene einer Stadt
tun, wenn sie den Grad der Verbauung einschränkt,
die Gleichmäßigkeit der Verbauung und anderes
durchsetzt. Daß Gemeinschaftseinrichtungen, die
für ein glückliches Leben so nötig sind, in Privat-
bauten kaum durchgesetzt werden können, liegt auf
der Hand, aber nicht einmal Genossenschaften
schaffen genügend viele Gemeinschaftseinrichtun-
gen, vor allem nicht Gemeinschaftseinrichtungen,
die auch dem umliegenden Bezirk zugute kommen,
wie etwa Vortrags- und Theatersäle.

Die Gemeinde Wien hat die großen Wohnhauskom-
plexe mit vielen Gemeinschaftseinrichtungen aus-
gestattet, mit Wäschereien, Badeanlagen, Kinder-
gärten, Leseräumen, Vortragsräumen, Turnräumen,
Klubräumen und so weiter, wovon manches an Orga-
nisationen vermietet wird. In den Volkswohnungs-
bauten der Gemeinde Wien beginnt ein neues Ge-
meinschaftsleben. Der gemeinsame große Hof dient
dem Spiel der Kinder, an Sommerabenden tanzt
groß und klein wohl gar nach den Klängen eines
Lautsprechers. Im Gegensatz dazu kann man in ein-
zelnen Städten anderer Länder mit gar nicht uner-
heblicher Neubautätigkeit Höfe antreffen, die Gras-
parketts zeigen, die nicht betreten werden dürfen:
keine Sitzgelegenheiten für die Alten, keine aus-
reichenden Spielgelegenheiten für die Kinder, um
derentwillen vor allem die Gemeinde Wien ihre
Wohnbautätigkeit entfaltet.

Die Wohnbauten sind ziemlich gleichmäßig auf
die Außenbezirke verteilt. Dabei wirkt mit. daß die
Bezirksvertretungen Lokalinteressen vertreten und
daß die Gemeinde kein Enteignungsrecht besitzt,
daher auf den freihändigen Kauf angewiesen ist,
dazu kommt, daß die Arbeiter möglichst in ihren
Arbeitsbezirken wohnen wollen: auch darf nicht

Die verbaute Fläche in Wien

Aus: Wien, Deutscher Verlag für Jugend und Volk. Entwurf:
Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum in Wien

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