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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Bier, Justus: Zur Ausstellung "Ewige Formen"
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0188

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übtes Auge dazu gehört, sie aus dem Wust kor-
rumpierter Formen herauszufinden —, Gegenstände,
deren Formwert an ihre Nützlichkeit gebunden ist,
die meist anonym entstanden auch dann, wenn ein
Künstler bei ihrer Formgebung mitgewirkt hat, keinen
Anspruch als Kunstwerke machen, wohl aber die un-
prätentiöse Schönheit des Vollkommenen besitzen.

Nach dieser Ausstellung hat die .,Neue Sammlung"
zunächst ihre eigenen Bestände neu geordnet ge-
zeigt und dann eine neue große Ausstellung aufge-
baut, die unter dem Titel „Ewige Formen" Ge-
brauchsgeräte aus allen Ländern, Zonen und Zeiten
mit modernem Gerät in Vergleich stellt. Gezeigt
sind Gegenstände aus Glas, Metall, Holz, Keramik,
Korbwaren und Textiiproben, Gegenstände von der
Steinzeit bis zur Gegenwart, aus Peru und Zentral-
afrika wie solche europäischer Herkunft, Gegen-
stände handwerklicher Herstellung so gut wie
maschinell hergestellte Erzeugnisse, durchweg
schlichte einfache Formen, sehr viel wirkliches
Gebrauchsgerät, wenig Kunstgewerbe im üblichen
Sinne.

Zusammengetragen ist diese Ausstellung mit ihren
Hunderten von Einzelobjekten lediglich aus dem rei-
chen Schatz der Münchener Sammlungen, aus Mu-
seen verschiedenster Art, aus den Fachsammlun-
gen des Bayerischen Nationalmuseums ebenso wie
aus dem Museum für Völkerkunde und dem prähisto-
rischen Museum, auch aus Missionssammlungen und
Kunsthandlungen ist einzelnes herangeholt. Man
freut sich, viele von jenen schlichten Dingen zu fin-
den, die innerhalb der musealen Sammlungen meist
unbeachtet schlummern, weil sie neben ihren präch-
tigen und reich dekorierten Nachbarn mit ihrer un-
scheinbaren Schönheit gar nicht zur Geltung kom-
men können. Man freut sich, dieses Glas oder diese
Tasse aus der Frühzeit des 19. Jahrhunderts, die-
sen gotischen Buchsbaumlöffel oder diese mero-
vingische Glasfluß - Halskette hier wiederzufinden,
weil diese Dinge hier auf einmal zum Leben er-
wachen und über die Jahrhunderte hinweg als etwas
zu lebendigem Gebrauch Bestimmtes wirken.

Dies ist vor allem der Art der Anordnung zu ver-
danken — die Dinge sind nicht, wie es in den Museen
üblich ist, nach Zeiten und Ländern geordnet, son-
dern nach Formen. Allerdings bleibt unentschie-
den, ob nach absoluten Formen, nach Kugel,
Würfel, Zylinder, Kegel usw., als jenen stereometri-
schen Formen, die als Ideen im menschlichen Geiste
ruhen und alle menschliche Gestaltung bestimmen,
oder nach jenen typischen Formen, die sich
für das Gebrauchsgerät entwickelt haben — Teller
und Tasse, Schale und Krug — Formtypen, die die
geometrischen Formen auf Grund praktischer Erfah-
rungen modifizieren, aus dem Gebrauchszweck ent-
wickelt sind und aus der Gleichartigkeit mensch-
licher Bedürfnisse in allen Zeiten und Zonen ihre
.,ewige Form" erhalten haben.

Die Beschriftung der Vitrinen mischt beide Ge-
dankengänge, es finden sich Gruppen von Gegen-
ständen unter Titeln wie „Die Kugelform", „Die Ei-
form", „Zylinderform", „Konus", „Flacher Konus",
„Ausgeschwungener Konus", „Steiler Konus", „Ab-
geschnürte Formen", „Kubische Formen", und dann
wieder unter Titeln wie „Die Langschale", „Kugel-
schalen", „Kugel mit Flaschenhals", „Kugelflasche
mit kurzem Hals", „Kugel mit weiter Öffnung", „Ei-

form als Krug", „Der Spitzkrug", „Der Flachteller",
„Tiefe Teller", „Flachrandschalen". Es werden also
einerseits Gefäße rein nach stereometrischen
Grundformen gruppiert, andererseits Gruppen nicht
eigentlich nach dem Gebrauchszweck, sondern nach
dem Formtypus gebildet, der natürlich meist auch
dem Gebrauchszweck nach Gleichartiges umfaßt,
oft aber ganz Sinnverschiedenes zusammenführt.
So findet sich z. B. bei den Langschalen neben
Speisegefäßen afrikanischer und europäischer Her-
kunft eine Schale von Winde, die zu nichts nütze
ist, als ihre ornamentale Maserung und ihr zierliches
Flachoval bewundern zu lassen, ein rein kunstge-
werblicher Gegenstand, der unter dem Vorwand des
Gebrauchszwecks und daher mit unzulänglichen
Mitteln und unzulänglicher Aufgabestellung freie
künstlerische Ziele verfolgt. Hier liegt überhaupt
die Gefahr dieser Form der Zusammenstellung
von Gebrauchsgerät, daß unter Gegenstände,
deren stereometrisch klare Form aus einfachster
klarster Erfüllung ihres Gebrauchszweckes resul-
tiert, sich Gegenstände mischen, bei denen diese
Form Selbstzweck ist, Gegenstände, die als Kunst-
werke geschaffen sind, ihre Magerkeit als solche
aber mit einem vorgeblichen Gebrauchszweck zu be-
mänteln suchen. Diese Gegenstände entstammen
durchweg unserer Zeit, da frühere Zeitalter dieses
Bedürfnis nicht durch Willkür der Formgebung und
Materialwahl, sondern durch Zufügung von Dekor
befriedigt haben. Es scheint, nachdem der Dekor
sich vom Gebrauchsgerät immer mehr zurückzieht,
daß das Bedürfnis, das früher den Dekor erzwang,
die Formen selbst zum Gegenstand seines Spiels
zu machen sucht, bis es sich vielleicht endgültig
nach einem geeigneteren Betätigungsfeld, als es
das Gebrauchsgerät ist, hinwendet. —

Eine Gruppe rein nach dem Gebrauchszweck gibt
die Ausstellung nur an einer Stelle: es ist die
höchst instruktive kleine Gruppe „Die Tasse von
3000 v. Chr. bis 1930 n. Chr.", wo sich von Tassen
der Hallstattzeit bis zu modernen Porzellantassen
Beispiele finden, die erweisen, daß die wenigen
Grundformen für die Tasse selbst wie für den Hen-
kel und seine Verbindung mit der Tasse seit Jahr-
tausenden die gleichen geblieben sind. Wie sehr
würde man wünschen, daß das hier angeschla-
gene Thema einer typologischen Überschau über
alle bis heute entwickelten Grundformen unseres
Gerätes zum Thema einer eigenen Ausstellung ge-
macht würde. Allerdings dürfte dann nicht nur sol-
ches Gerät in den Bereich der Betrachtung gezogen
werden, das wie die verschiedenen Gefäßformen bis
heute seinen praktischen Wert voll bewahrt hat,
sondern auch das Gerät, das wie z. B. die Einrich-
tungen zur Beleuchtung grundlegende Veränderun-
gen und Verwandlungen erfahren hat. Denn während
die stereometrischen Grundformen wirklich ewige
Formen sind, aus denen sich auch jede Gestaltung
neuer Gerättypen speist, sind diese Typen selbst
nur insoweit ewige Formen, als sie nicht durch ver-
änderte Bedürfnisse, durch neue technische Erfin-
dungen, neue Materialien und Arbeitsmethoden über-
holt werden: sie gehören nicht dem Bereich des
Geistes an, der Welt reiner Ideen, sondern vergehen
und werden, gemäß den Gesetzen, denen die Wand-
lung aller vom Menschen geschaffenen Formen
unterliegt.

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