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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Unter der Lupe
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0249

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„Die Fassung dieses länger begründeten Ein-
spruchs könnte die Ansicht aufkommen lassen,
daß er nicht allein im Namen der Mitglieder die-
ser Dresdner Innungen, sondern im Namen aller
selbständigen Gewerbe- und Kunstgewerbe-
treibenden im Lande Sachsen überhaupt erhoben
worden sei. Es muß Wert auf die Feststellung ge-
legt werden, daß hiervon selbstverständlich keine
Rede sein kann. Als Inhaber von Werkstätten für
künstlerische Gold- und Silberschmiedearbeiten,
die weit über Sachsen hinaus Anerkennung und
beste Bewertung gefunden haben, stehe ich nicht
an zu erklären, daß es nach meiner Ansicht mit
der deutschen Gold- und Silberschmiedekunst
schlimm bestellt wäre, wenn die einseitige An-
sicht der Dresdner Innungen Allgemeingut der
deutschen Goldschmiede wäre.'---■ —

— — — ..Die Stilreste früherer Zeitepochen
waren verdorbene, ,unechte', weil wesens- und
zeitfremde Anhängsel geworden, die abgestreift
werden mußten, und Geltung erhielt die reine
Form, die als solche der inneren Verfassung des
Künstlers, seinem Ausdruckswillen, seiner Ver-
haftung mit der Zeit entsprach. Denn es ist
doch wahrhaftig nicht so. daß der Werkschaf-
fende etwas machen wollte, was lediglich Zeit-
wert hatte. Es waren keine Modetorheiten, mit
denen man .Geschäfte" machen wollte. Jedenfalls
konnte diese Krämergesinnung nicht die Richt-
linie des Handelns für die wirklich Führenden
sein. — Wir kamen also zum Erlebnis der wahren,
edlen, schlichten Form, die übrigens keineswegs
neu war. Die Berliner Ostasiatische Ausstellung
hat uns ja seinerzeit gezeigt, wie nahe wir heute
den Geistern von vor einigen tausend Jahren
sind. Diese reine Form stellt den Handwerker vor
große, spezielle Aufgaben. Wer in seinem Betrieb
die handwerkliche moderne Arbeit entstehen
sieht, der weiß, worauf es ankommt. — Daß auf
diesem Wege manches zurückstehen mußte, was
zu beschaulicher Zeit ein bequemes Dasein
führte, ist richtig. Aber zurückdrehen läßt
sich das Rad der Weltgeschichte bestimmt
nicht."---

----..Mit bloßer Kritik, mit dem Willen, der

Zeit in die Arme zu fallen, ist's doch wahrhaftig
jetzt nicht getan. — Will man das. was naturnot-
wendig werden mußte, verdammen, so soll man
zeigen, was an seine Stelle treten, wie es ergänzt
werden könnte, ohne daß der schöpferische
Mensch der Gegenwart darunter leidet."

Es ist jedenfalls erfreulich, daß aus den Reihen
des Kunsthandwerks heraus hier die gleichen Ge-
danken ausgesprochen worden sind, wie wir sie im
letzten Heft „Unter der Lupe" unter dem Abschnitt
„Handwerk und Baugesinnung" ausgeführt haben.

Und nun hören wir noch eine andere Stimme aus
Sachsen. In der Zeitschrift ..Werk und Kunst",
Heft 1, Jahrgang 1931. Sonderheft Leipzig, hat Hein-
rich Wichmann einen Artikel „Die Morgendämmerung
des Handwerks" geschrieben. Es kommt zuerst eine
längere historische Einleitung, in der u. a. steht:
„Die neue Sachlichkeit mit ihren Spitzenreitern
Olbrich, Loos und dann später Gropius, Taut, Mies
van der Rohe u. a. begann den Kampf gegen das
Ornament, und mit fanatischem Eifer sollte das
Kunstgewerbe' unterdrückt werden." Daß das

Kunstgewerbe in Anführungsstrichen allmählich aus-
sterben müsse, haben jene Menschen sehr wohl ge-
sehen, aber sie haben nicht das Kunstgewerbe ohne
Anführungsstriche „mit fanatischem Eifer unter-
drückt". Aber über den historischen Teil wollen wir
nicht weiter streiten.

Erinnern wir uns an das. was Treusch über die
Krämergesinnung oben sagt und stellen wir dem
folgenden Satz aus dem Artikel von Wichmann
gegenüber:

„Unsere langjährige Messeerfahrung hat uns
bewiesen, daß das Ausland, das in Standardwaren
Gleichwertiges oder Besseres hervorbringt, der-
artige Produkte nicht als typisch deutsch be-
trachtet. Es sucht bei uns Dinge, die auf dem
Boden alter Kultur gewachsen sind und die in jün-
geren Ländern nach der dort herrschenden kul-
turellen und wirtschaftlichen Struktur nicht her-
vorgebracht werden können."

Bitte, möge man doch eine Statistik machen, was
auf der Leipziger Messe umgesetzt wird, und zwar
gegliedert in erstens: moderne technische Standard-
Artikel einschließlich Maschinen und aller sonstigen
Dinge und zweitens: in gutes modernes Kunsthand-
werk und drittens: in schlechten kunstgewerblichen
Ausfuhrkitsch. Die technischen Standardartikel wer-
den hoffentlich zahlenmäßig an erster Stelle stehen.
Und das ist gut so. Wenn man aber nach dem gehen
will, was das Ausland bei uns sucht, dann soll man
ins Grassi-Museum Ausfuhrkitsch stellen. Die Lei-
tung des Grassi-Museums. die mit dem Schreiber
des Aufsatzes identisch ist. ist aber glücklicher-
weise bestrebt, dort das gute Kunsthandwerk und
gute Industrieerzeugnisse auszustellen. Das ist ein
kultureller Dienst, und man muß dem Grassi-Museum
dankbar sein, daß es diesen Dienst gerade im Rah-
men der Leipziger Messe leistet. Nun heißt es in
dem erwähnten Aufsatz:

..Gewiß ist es verdienstvoll, wenn wir wieder
Beleuchtungskörper haben, die leuchten, Stühle,
auf denen man wirklich sitzen kann. Räume, die in
der Bewirtschaftung keine allzu große Belastung
verursachen. Der Sinn der Kunst verlangt aber
nach etwas Höherem. Er bleibt nicht stehen bei
der technischen Konstruktion eines Ingenieurs.
Unsere Zeit hat ein hartes, rasches Tempo be-
kommen. Unsere Zivilisation und Technik haben
uns Automobile, Flugzeuge. Telefon. Radio be-
schert, aber sie haben uns deshalb nicht glück-
licher gemacht. Im Gegenteil, die Maschine hat
uns in ernste Wirtschaftskrisen gestürzt. So
wichtig es sein mag für die Industrie. Typen-
modelle, Standardwaren nach den Ideen begabter
Künstler zu bekommen, das Bessere, das Edlere
bleibt doch das Handwerk, dessen Schöpfungen
in jeder Fassung einen neuen Reiz und eine
andere Gestaltung erhalten und die erst wieder
mit ihrem Ideenreichtum der Industrie neues Blut

zuführen."---

----„Gewiß wird es immer eine wichtige

zweite Aufgabe sein, für die Industrie gute Typen-
modelle zu schaffen, aber mir will scheinen, als
ob diese Aufgabe in den letzten Jahren zu sehr in
den Vordergrund gerückt worden ist und das
Handwerk zu Unrecht in den Schatten gedrängt
wurde. Wir haben unleugbar in der ganzen Welt
eine Produktion von Serienwaren, die normalisiert,

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