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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Nowak, Hans: Bemerkungen zum Thema Werbung
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0381

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jawohl, Kulturpropaganda! Aber wo liegt, von
der Propaganda her gesehen, der Unterschied?
Was hat gewechselt? Das propagierte Objekt,
insofern jedenfalls, als es mengenmäßig einge-
schränkt ist. Und der Auftraggeber, insofern,
als er nicht mehr der selbständige, auf sich
selbst und seine Findigkeit gestellte Homo oeco-
nomicus, sondern eine zentrale, die Gesellschaft
repräsentierende Instanz ist. Und mit beiden,
vielleicht, die Gesinnung, welche die Werbung
trägt. Das ist viel. Doch geblieben ist: der
Impetus und der Imperativ zum Werben, und das
Publikum, der Konsument oder wie sonst wir eine
anonyme Masse taufen wollen, die niemals eine
Vielheit des Homo oeconomicus, sondern immer
eine undurchsichtige, schwer begreifliche und
schwer zu ergreifende Vielheit leidenschafts- und
wunschbewegter Individuen bleibt.

So scheint das Beispiel Rußland zu besagen/
daß Werbung als Funktion relativ indifferent
gegen das Wirtschaftssystem ist. Der Wider-
spruch gegenüber dem eingangs Gesagten ist
tatsächlich nur ein scheinbarer, denn es war dort
wohl von Formen die Rede, nicht aber von Prin-
zipien. Und wenn unter Hinweis auf die unlös-
bare Entsprechung behauptet worden war, daß
eine Änderung des herrschenden Wirtschafts-
systems in Richtung irgendwelcher Formen (teil-
weise oder total) gebundener Wirtschaft auch
notwendig zu einer Umstellung von Art und
Form der Werbung führen müsse, so scheint sich
auch dies am Thema Rußland weitgehend zu be-
stätigen. Was wir an neurussischer Propaganda,
und zwar an rein politischer sowohl als auch
an kulturpolitischer und wirtschaftlicher (Export!),
bisher gesehen haben, weist einen eigentümlich
einheitlichen Stil auf. Wir möchten bezweifeln,
daß diese Stilbildung in der Gesamtpropaganda
sich ethnologisch erklären läßt, sich einzig aus
dem Volkscharakter herleitet und eben einfach
„russisch" sei. Zu vieles spricht dagegen, auch
wenn man die Bedeutung des nationalen Mo-
ments als stilbildende Kraft noch so hoch an-
schlägt. Wir glauben vielmehr, daß sich hier auf
das deutlichste wieder jene Entsprechung mani-
festiert, mit anderen Worten: daß sich die Syste-
matik in der Wirtschaft und im gesellschaftlichen
Gefüge in dieser einheitlichen, bewußten, das
Zufällige ausschließenden Haltung der Propa-
ganda abbildet.

Was an Reklameregeln und Patentrezepten
für wirksame Propaganda bisher aufgekommen
ist, und was sich heute etwa als Katechismus der
Reklame ausgibt, es muß als recht dürftig be-
zeichnet werden. Zudem hat das sehr proble-
matische Verfahren vieler Werber, den Menschen

als konstante Größe anzusetzen (ein Irrtum, der
auf die Lehre der klassischen Nationalökonomie
zurückgeht), in den Umschichtungen des letzten
Jahrzehnts manche grausame Niederlage er-
litten. Nicht nur, daß der Konsument von
Strümpfen, Büchern oder Lebensmitteln ärmer ge-
worden ist und gegen viele Reizungen stumpfer,
er ist auch mißtrauischer und „sachlicher" ge-
worden. Und überall in der Wirtschaft, wo man
hellhörig und noch immer im besten Sinne unter-
nehmend geblieben ist, hat man mit der Propa-
ganda diese Tendenzen für sich fruchtbar zu
machen versucht. Das beste Beispiel dafür gaben
in den letzten Jahren die Gemeinschaftsreklamen
ganzer Wirtschaftszweige. Diese Kollektiv-
propaganda setzte, wenn ich nicht irre, mit dem
großen Feldzug des Obsthandels für eine Steige-
rung des Früchtekonsums ein, sie setzte sich
fort in der vorzüglich angelegten Werbung der
Milchhändler und Milchproduzenten, und wandte
sich zum drittenmal mit einer Werbung für den
Fischkonsum an die gesamte Verbraucherschaft.
Man weiß, daß diese drei Reklameoffensiven
den Veranstaltern ganz außerordentliche Erfolge
brachten. Woher empfingen sie ihre Stoßkraft?
Wir sehen zwei Ursachen: die einheitliche Front-
bildung der zersplitterten Einheilen, das heißt in
unserem Sinne: Systemgebung durch ein Kollek-
tiv; zum zweiten — und hier sind wir bei einer
neuen Frage: Qualität in der Propaganda.

Ob eine Möbelfirma ihre Werbedrucksachen
auf Bütten preßt und kostbar bindet oder ob sie
dieselbe Vorlage auf einem guten Werkpapier
druckt und in genormten Umschlägen an die zu
bearbeitenden Verbraucher schickt, ist für das
Resultat der Kundenwerbung völlig gleichgültig.
Nicht mehr gleichgültig ist es bereits, ob die-
selbe Firma einen Werbebrief in einem Verfahren
vervielfältigt, das deutlich die Merkmale eines
maschinellen Massenverfahrens aufweist, oder
ob sie diesem Brief ein scheinbar privates Aus-
sehen zu geben versteht. An diesem Beispiel
soll erhellen, daß Luxus und Qualität im Propa-
gandamedium nicht zu verwechseln sind. Sie
decken sich hier so wenig wie überall, freilich
bleiben die Grenzen fließend. Jede gute Propa-
gandaidee bringt ihre eigene Minimalforderung
an das Material und an die Gestaltung mit; sie
läßt sich besser oder schlechter „ausführen", sie
hat aber immer einen Grenzpunkt, der nicht
unterschritten werden darf, soll sie nicht mit allen
Kennzeichen der Unterernährung in die Welt
gehen. Die Grenzen liegen in der Sorte des
Werkstoffs ebenso wie in den gestaltenden
Mitteln. Von Q u a I i t ä t in der Propaganda ist
aber erst dann zu sprechen, wenn jenes Minimum

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