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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Schwab, Alexander: Rundschau in Baupolitik und Bauwirtschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0452

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Die Schrumpfung der Wirtschaft

Die Krise der deutschen Produktion macht weitere
Fortschritte. Nicht allzu schnell, die Arbeitslosenzahlen
wachsen nur um weniges rascher als im Herbst des
letzten Jahres — aber Fortschritte dennoch. Für die Bau-
wirtschaft liegt das charakteristische und gefährliche
Moment der gegenwärtigen Situation darin, daß sich
immer deutlicher ein Unterschied zwischen den beiden
Hauptgruppen der Produktion herausbildet: Während
nämlich in den Industrien, die für den täglichen Bedarf
arbeiten, der tiefste Punkt allmählich erreicht zu sein
scheint und z. B. Textil- und Bekleidungsgewerbe im Sep-
tember und Oktober relativ befriedigend beschäftigt
waren, macht die Schrumpfung in allen Produktionsgüter-
industrien ständig weitere Fortschritte. Eisen- und Stahl-
erzeugung sowie die Herstellung aller Baustoffe gehen
in dem allgemeinen Krebsgang voran. Und alle Sym-
ptome deuten darauf hin, daß diese Entwicklung noch
keineswegs beendet ist. Die Weitkrise hat in den letzten
Monaten mehr und mehr den Charakter einer Ver-
trauenskrise angenommen, einer Flucht aller Kapital-
besitzer aus jedem riskanten Geschäft, besonders aber
aus jeder Anlage von längerer Dauer. Der kleine und
mittlere Sparer, dessen Geld für das Funktionieren der
Kapitalmärkte unentbehrlich ist, scheut eben diese Ver-
wandlung seines Geldes in Kapital und hamstert Bank-
noten oder noch lieber Gold, und auch die großen
Kapitalien flüchten haltlos von Land zu Land, voll von
Mißtrauen gegen alles, was Bank heißt. Im ganzen ein
völlig sinnloses Beginnen, da auf diese Weise die
Schrumpfung der Produktion nur immer weiter gefördert,
die Möglichkeit normalen Geschäfts immer weiter ein-
geschränkt wird. Indessen kann der einzelne, zumal
soweit er mit seinem Geschäftszweig auf die lang-
fristigen Investitionen angewiesen ist, nichts tun als das
Ende dieser Weltkrankheit abzuwarten, wie es auch
kommen möge. Nur vor Illusionen sollte man sich hüten.

Geschäft in Möbeln

Noch im Oktober gab es unter den mittleren Betrieben
der Möbelherstellung viele, die recht gut zu tun hatten
und neue Arbeitskräfte einstellen konnten. Das hat schon
im Juli angefangen, damals als prompte Reaktion auf
die deutsche Bankenkrise. Zunächst wurden die Lager
des Handels in Anspruch genommen, teilweise sogar ge-
räumt, dann griff der Handel mit neuen Bestellungen auf
die Industrie und das Handwerk zurück. Ist die an-
haltende— wagen wir das Wort — Konjunktur am Möbel-
markt noch immer ein Erzeugnis von Inflationsangst?
Zum Teil sicher: insoweit übrigens kaum ein Zeichen be-
sonderer Intelligenz. Aber sie hat wohl auch noch andere
Gründe. Die anhaltende Flucht aus zu großen und zu
teuren Wohnungen schafft doch auch allerhand Ein-
richtungsbedarf. Wenn man schon umzieht — und zum
Oktobertermin ist bekanntlich in großem Maßstab um-
gezogen worden —, dann benutzt man auch gern die
Gelegenheit, dies und das zu erneuern. Dazu kommt
vielfach der Abbau von Dienstpersonal: nun muß man
praktischere Sachen haben, Dinge, die sich leichter
reinigen lassen. Daneben freilich leidet der Markt für
alte Stücke unter einer geradezu tödlichen Überfüllung:
auch Dinge mit Liebhaber- oder Sammlerwert werden für
ein Butterbrot verschleudert.

Dies alles nur nebenbei. Nur nebenbei auch, daß im
allgemeinen, vom ausgesprochenen Luxusbedarf ab-
gesehen, nur noch mit billigsten Preisen ins Geschäft zu
kommen ist. Wichtig ist: Auch diese Sonderkonjunktur

ist, direkt oder indirekt, nur eine Folgeerscheinung der
allgemeinen Flucht aus dem Risiko und hat deshalb nur
kurzen Atem. Hinter dieser Flucht rennen bisher alle
amtlichen Maßnahmen und Aktionen hinterher — kein
Vorwurf bei so außerordentlichem Vorgang, aber ein
Anlaß zum Nachdenken.

Flucht aus dem Risiko

Aber Flucht — wohin? Viele heben noch immer die
Augen auf zu den Bergen der öffentlichen Verwaltung,
von denen, wie sie meinen, die Hilfe kommen soll. Und
dann beten sie um Aufträge: Staat und Gemeinden
müßten doch schließlich immer bauen. Aber das ist
nicht das richtige Gebet, um so weniger, je lauter die
gleichen Götter der öffentlichen Verwaltung beschimpft
werden wegen Verschwendung für jeden Bau, den sie
durchführen.

Gewiß, die öffentliche Verwaltung muß mithelfen,
wenn es besser werden soll. Aber nicht mit Aufträgen,
die nicht zu finanzieren sind, sondern mit konstruktiven
Ideen, die das stockende Gesamtsystem durch gründ-
lichen Umbau wieder zum Funktionieren bringen. Eine
solche Idee ist die Entwicklung Berlins zur deutschen
Weltstadt, und zwar gerade eben jetzt in der Krise.
Jeder, der Augen hat, kann heute sehen, daß die
kommende Neuordnung der Welt stärker als je auf den
wenigen Weltstädten beruhen wird. Jeder kann auch
sehen, daß die Leistungsaufgabe, die den deutschen
Wirtschaftskörper wieder lebensfähig machen kann, die
Herstellung der Verbindungsbrücke ist zwischen dem alt-
industriellen Westen und dem östlichen, vor allem also
dem russischen Raum; das bleibt, unabhängig von den
besonderen politischen Formen und ihrer noch ungewissen
Entwicklung. Dieser Aufgabe aber ist der deutsche Wirt-
schaftskörper in keiner Weise gewachsen, wenn er nicht,
straff und elastisch zugleich, in einer Zentrale zusammen-
gefaßt ist. Nur in Berlin laufen die Fäden zwischen
London—Rotterdam—Ruhrgebiet, Paris—Köln, Schlesien—
Mitteldeutschland—Ostsee, Südamerika—Ostasien—Ham-
burg—Bremen und Warschau—Leningrad—Moskau—
Charkow—Kusnezkbecken—Sibirien so zusammen, daß
aus ihrer Verbindung eine neue Aktivität des deutschen
Wirtschaftskörpers und des deutschen Wirtschaftsvolkes
entstehen kann.

Die Statistiker Preußens und der Stadt Berlin haben
kürzlich einen Streit ausgefochten über die Frage, ob
Berlin mehr Handels- oder mehr Industriestadt ist. Eine
solche rückwärts gewandte, nur statistisch, ja fast nur
statisch registrierende Betrachtung führt nicht recht weiter.
Wer die Zukunft mit ihren realen Aufgaben im Auge hat,
kann kaum im Zweifel darüber sein, daß es zu den
wichtigsten staatspolitischen Aufgaben Deutschlands ge-
hört, Berlin als Weltstadt funktionsfähig zu machen, und
daß dieser Gesichtspunkt sogar übergeordnet — nicht
etwa entgegengesetzt, sondern: übergeordnet — ist den
Gesichtspunkten einer reinlichen Verwaltung, einer spar-
samen Finanzwirtschaft, einer ausreichenden Sozial-
politik und was dergleichen mehr ist. Wenn in Moskau
Stalin persönlich, gegen alle Widerstände der Kommunal-
verwaltung, den Bau einer Untergrundbahn durchgesetzt
hat, so mag das richtig oder falsch sein: es gibt jeden-
falls zu denken, weil es ein unmißverständliches Zeichen
ist für den Willen der leitenden Sowjetleute, aus Moskau
eine Weltstadt zu machen.

Welche Kräfte freilich heute noch als Träger einer
Weltstadtentwicklung Berlins ernsthaft in Betracht kom-
men — ist sicher eine offene und sehr nachdenkliche Frage.

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