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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0325

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Die Pariser Kolonialausstellung

Nein, verehrter Herr Schwab — so etwas wie das
„Deutsche Dorf" auf der Bauausstellung ist nicht nur in
Berlin möglich („Die Form", Heft 6, S. 212)! Was es auf
der Pariser Ausstellung an Würstel- und Sauerkrautbuden,
an Konditoreien, Cafes und Restaurants in Form von
Hottentottenkralen, Moscheen, indischen Tempeln usw.,
mit Negerinnen oder Beduinen u. dgl. als Bedienung (und
mit Pariser Einheitspreisen und Einheitsküche!) gibt, das
übertrifft um ein Vielfaches alles das, was jemals auf einer
Ausstellung oder einem Volksfest in Deutschland zu sehen
war. Nur daß man in Deutschland diesen „Vergnügungs-
park" in der Regel fein säuberlich von dem seriösen Teil
der Ausstellung trennt, während der ganze gewaltige
Komplex der Kolonialausstellung, nicht nur der köstliche
Akazienwald, der einen Teil des Geländes bedeckt, mit
diesen Buden durchsetzt ist; man hat zuerst den Eindruck,
als sei die ganze Ausstellung nichts wie ein Jahrmarkt von
mächtigsten Dimensionen und ungeheurem Aufwand, durch
den die Besucher in Millionenscharen angelockt werden
sollen. In der Tat strömt ja auch an Sonntagen eine un-
übersehbare Masse von Menschen dort hin, und die
— übrigens mit musterhafter Geduld und Disziplin er-
tragene— Überfüllung aller Verkehrsmittel ist phantastisch.

Ich weiß nicht, ob es in Frankreich eine öffentliche
Kritik gibt, die sich gegen dieses unbekümmerte Neben-
und Ineinander von Ernst und Kitsch wendet — wie wir
sie bei uns seit langem gewohnt sind. Die Ausstellungs-
leitung würde auf eine derartige Kritik wahrscheinlich
antworten, daß eine Ausstellung weder ein Museum noch
eine Fachschule, sondern eine Angelegenheit für alle ist,
und daß es doch töricht und nicht einmal sachlich gerecht-
fertigt wäre, wollte man in einer Kolonialausstellung auf
den — freilich in dieser Form unvermeidbar kitschigen —
Reiz des Exotischen verzichten. Der Erfolg gibt diesem
Standpunkt insofern nicht ganz unrecht, als auf diese
Weise in der Tat ungeheure Menschenmassen in die Aus-
stellung gelockt werden, von denen ein erstaunlich großer
Teil sich auch um das kümmert, was die Ausstellung an
Ernsthaftem bietet.

Und das ist keineswegs wenig. Der belehrende Teil
der Ausstellung ist offenbar mit großer Sorgfalt gemacht
und sehr fesselnd. Sicherlich wird durch die Ausstellung
das Interesse an den wirtschaftlichen, politischen und
kulturellen Problemen der Kolonien neu belebt. Daß

diese Probleme ganz allgemein nicht sehr zukunftsreich
sind, ist eine andere Sache. Wenn man auch jetzt wieder,
wie damals in Wembley, vergebens nach den Spuren
einer lebendigen handwerklichen Produktion der Kolonial-
völker sucht, so ist das nicht Schuld der Ausstellung,
sondern nur ein neuer Beweis für die Tatsache, daß der
Geist Europas nicht nur bei sich zu Hause, sondern über-
all, wohin er ausstrahlte, die natürliche Gestaltungskraft
vernichtet oder doch verhängnisvoll geschwächt hat. Daß
man auf dem wenn auch nicht mehr schöpferischen hand-
werklichen Können Neues aufbauen kann, beweisen die
ausgezeichneten Teppiche, die in Algier nach Entwürfen
von Pariser Künstlern (Picasso u. a.) geknüpft werden.
Das ist handwerklich ersten Ranges, aber natürlich alles
andere, nur keine autochthone Volkskunst.

Was die Ausstellungsbauten anlangt, so muß man
dreierlei unterscheiden: erstens die „modern" gedachten,
z. T. rein dekorativen Bauten, Türme und Portale, die in
der echt französischen Mischung von Jugendstil, Kon-
struktivismus und Klassizismus zwar ganz effektvoll, aber
doch wenig erfreulich sind (jedenfalls nicht im entferntesten
die Stockholmer Bauten vom letzten Jahr erreichen!) — z. T.
aber auch mächtige Hallen, die in der Leichtigkeit und
Kühnheit der Konstruktion sehr eindrucksvoll sind. Zweitens
die harmlos-kitschigen orientalischen oder sonst exotischen
Pavillons u. dgl., die im besten Fall wie Kinoarchitektur
wirken (am tollsten der mit Ochsenblut angestrichene
Königspalast von Timbuktu) — und drittens die ernst-
gemeinten Rekonstruktionen asiatischer Monumental-
bauten. Der sehr schöne holländische Pavillon in Form
eines javanischen Tempels ist inzwischen, mit unersetz-
lichen Schätzen javanischer Kunst, abgebrannt. Das
Hauptstück aber, die Rekonstruktion des berühmten
Tempels von Angkor, möchten wir den Herren vom Per-
gamonmuseum zur Beachtung und zum Nachdenken
empfehlen. Das, was sie angestrebt haben, ist hier wirk-
lich erreicht: hier sieht man, wenn auch in vergänglichem
Material, aber in überzeugender Wirkung, ein gewaltiges
Bauwerk ferner Zonen und Zeiten in seiner Gesamtheit
vor einem stehen, und man muß schon ein puritanischer
Philister sein, um dieser Wirkung — die man übrigens bis
in die Einzelheiten der herrlichen Reliefs verfolgen kann! —
nicht zu erliegen. W. R i e z I e r

Nochmals „Ewige Formen"

Die im Mai-Heft dieser Zeitschrift erschienenen Auf-
sätze, die das Thema der in der Neuen Sammlung in
München veranstalteten Ausstellung „Ewige Formen" in
sehr wertvollen Betrachtungen und beachtungswerten
Gedanken kritisch untersuchten, veranlassen mich, mich
noch einmal persönlich zu diesem Thema zu äußern.
Nicht so sehr, weil an meiner Ausstellung Kritik geübt
wurde, als vielmehr deshalb, weil darin die Tendenz, die
dieser Schau und ihrer Anordnung zugrunde lag, teil-

weise anders gedeutet wurde, als es dem Sinne der Ver-
anstaltung entsprach.

Ich will zugeben, daß eine irrtümliche Deutung meiner
Auffassung nicht ganz fern liegt für jemanden, der die
Ausstellung nicht gesehen hat. An sich ist schon das bild-
liche Pathos, das der Titel „Ewige Formen" enthält, sehr
vieldeutig. Und: das Thema liegt nicht so sehr im Be-
reiche des Spirituellen und logisch Erfaßbaren, als viel-
mehr in dem des künstlerisch Anschaulichen.

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