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Heidelberger Zeitung — 1866 (Januar bis Juni)

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Nr. 50-75 März
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https://doi.org/10.11588/diglit.2795#0274

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wir bereits hier eher übcr ein zu Diel als zu
Wenig unS beklagen könnten. Jndessen sei an-
zuerkennen, daß die Regierung durch Errichtung
einer selbstständigen stalistischen -stelle einem
wirklichen Bedürfnisse cntgegeu komme. Gule
fiatistische Uebcrsichten seicn sür die Slaatsver-
waltung wie auch für den größern GeschäftS-
mann unentbehrlich. Dic Statistik sei indeß
eine der jüngsten Wissenschaften und vielfach
sei sie dies noch nicht. Denn daS bloße An-
sammeln deS Materials, wie verdienstlich dieS
auch an sich selbst, vermittle noch nicht die Ein-
sicht in die Wechselwirkung der Kräste, welche
als Ursachen und Wirkungen daS Staatö- und
Volksleben bedingcn. Nur wcnn die Statistik
durch Combination und Vergleichung letztere
Erkenntniß vcrmittle. werde sie fruchlbringcnd.
Man dürfe zur Regierung das Vertraucn he-
gen, daß sie lediglich nach solchen Gesichtspunk-
ten die rechte Wahl bei Besctzung der neuen
Stellen treffen wcrde. Die Fordcrung wird
einstimmig bewilligt.

Der Abg. v. Roggenbach bringt bei die-
sem Anlaß die Meteorologie zur Sprache, welche
mehr und mehr an Bedeutung gewinne. Jn
Baden würden bis jetzt bloß auf der Skern-
warte zu Mannheim meteorologische Beobach-
tungen angestellt. Man solle in das bestehende
europäische Netz meteorologischer Beobachtungen
eintreten und zu diesem Zwecke 4—6 Stationen
im Lande errichten. Mit wenigen taüsend Gul-
den zur Anschaffung der Jnstrumente und zu
Honorirungen ließe sich die Sache ausführen.
Gerwig und Andere sprechcn sich in Lhnli-
chem Sinne aus, worauf von Seiten der Ne-
gierungsbank erklärt wird, daß man gerne be-
reit sei, auf die Sache einzugehen und sich vor-
behaltc, eine dahin zielende Forderung in das
Haus zu bringen.

Die Kammer geht hierauf zur Berathung
der einzclnen Positionen sür BeförderunZ der
Gewerbe und der verschiedenen Zweige der
Landwirthschaft über. Hebting findet eS auf-
fallend, daß die Gewerbe mit etwas magcrer
Kost abgefunden seien, indem für sie nur 17,000
fi., für landwirthschaftliche Zwecke dagegen
158,112 fi. jährlich gefordert würden. Der Re-
gierungScommissär bemerkt dagegen, daß noch
an andern Orten des Slaatsbudgets der Ge-
werbe mit nicht unbedentenden Summen gedacht
sei. Die Vcrhandlungen ziehen sich bei den
einzelnen Positionen, wie dies jcdesmal nach
der Natnr diescs Gegenstandes der Fall ist,
sehr in die Länge und Brcite, ohne etwas Neues
zu bieten. Wir heben nur noch herauS, daß
die Anstellung eines Cultur-Jngenieurs, als
ständiger technischer Rath im HandelSministe-
rium mit einer Besoldung von 1800 fl., und
die Gehalte für zwei Wiesenbaumeister mit zu-
sammen 2100 fl., die zur .Hebung des Wiesen-
baues angestcllt werden sollen, von der Kammer
bewilligt werden. Dagcgen wird eine Forderung
von 1000 fl., um zu Meersburg und GcrlachS-
heim mit kleinen Weinbauschulcn einen Versuch
zu machen, abgelehnt, da man sich hiervon we-
nig Frucht verspricht und von der Herstellung
einer wohleingerichteten Weinbauschule in der
Mitte des Landes mehr Vortheil erwartet. Die
Sitzung wird gegen 2 Uhr geschlossen.

-l- Heidelberg, 12. März. Unter dem
ominösen Titel „Bangem achen gilt nicht",
mit eincm Ankcrzcichen — dem Symbol kleri-
kaler Hoffnungen versehen, greift der Moniteur
der ultramontanen Partei in Baden in einem
förmlichcn Leitartikel unser Blatt auf das hef-
tigste und mit den obligaten Schimpfereien an,
weil daffelbe vor einiger Zeit in einem Artikel
ganz unbefangener Weise ein Gerücht mittheilte,
womit man sich im Publikum schon mehrfach
getragen und welches auch schon in andern, selbst
auswärtigen Blättern Eingang gefunden hatte.
Es muß wohl jedcm unbefangenen und selbst
„befangcnen" Beobachter unserer Verhältniffe
in Badcn aufgefallen sein, wie die ultramon-
tane Agitation der neuestenZeit nach dem letzten
Bruchsaler schwarzen Casino Plötzlich zu stocken
anfing, obwohl man sich großartig vermeffen
hatte, eine Bewegung in Betrcff der Civilehe
anzuzettelt^ gegen welche jcne gegcn das Schul-
gesetz wie ein Kinderspiel gewescn sei. Ein gro-
ßer Theil des Publikums grundcte nnn hierauf
— ob mit Necht oder Unrecht, wollen wir
nicht untersuchen — die Vermuthung: die Kle-

rikalcn seien bereit, ihre Agitationen einzustel-
lcn, wenn die Regierung die Einführung der
Civilehe und dic Frage der welllichcn Stiftuu-
gen fallen laffe. Ohngrsahr mit dicsen Worten
thcilten auch wir diese Nachricht in den Spal-
tcn unsereS Blaites mit und bemcrktcn zugleich
weiter, daß die Regierung auf ein solcheS Com-
promiß, wic eS die Klcrikalen. mit ihrer zu-
wartenden Stcllung beabsichtigcn, nicht eiu-
gehen werde. ES ist uns also nichl entfernt
eingefallen, behaupten zu wollen, daß die großh.
Regierung den Ultramontanen die Ehre er-
wcise, „um Einstellung ihrcr Agitation zu vcr-
handeln". Zu dieser und zu seineu andern ir-
rigen Unterftellungen gelangt dcr Bxobachter
aber nur wieder mittelst Einhaltung der ge-
wohnten Manier sciner Polcmik, die darauf
hinausgeht, dcn wahren Sachverhalr dnrch
Wortverdrehungcn uud Sophismen zu entstel-
len, mit einem Wort^ die Wahrheit zu fälschen.
Beruht doch hierauf das gauze Thun und
Treiben der Partei, dessen Organ er ist, über-
haupt! — Wenn die Kirche „zu wartcn ver-
steht" und ihreS schließlichen Sicges — wie
der Beobachter vermeinl — gewiß ist, warum
hat sie sich, so fragen wir, nicht in andcrn
Staaten, wo die Civilehe längst eingeführt ist,
nicht auf'S Warten verlegt- Warum hat sie
sich in Frankrcich, den NheirUandm, Belgien und
in neuester Zcit selbst in Jtalien den staatlichen
Anordnungen zuletzt doch gefügt? Man zeige
von Seiten der StaaLsgewalt nur Erust, gebe
nicht nach, verstehe sich zu kcinem Compromiß,
und die Kirche (um die Auödrucksweisc dcs
Beobachtcrs zu gebrauchen) oder vielmehr die
ultramontane Partei wird sich auch in Baden
schließlich der StaatSordnung fügen, wie sie
dies klüglicherweise in jcncn andern Ländern gc-
than hat. Denn Bangemachen gilt nicht!

Hl Heidelberg, 12. MLrz. Der Verein
hiesiger academischer Lehrer hal von dem Er-
trage der dieSjährigen MuseumSvorträge eine
amcrikanische Obligation ü 100 Dollars ange-
kauft und dem hiesigcn Zweigverein der Pesta-
lvzzi-Stiftung für Unterstützung von hilfsbe-
dürftigen Lehrerwittwen mit der Bestimmung
übermacht,*die jährlichen Zinsen dcn VereinS-
zwccken gcmäß zu vcrwcnden, den ' Nest des
Reinertrags mit 184 fl. 29 kr. aber dem ar-
chäologischen Jnstitut der hiesigen Universität
zum Ankauf von Kunstwerken zugewiesen.

Oberursel (Nassau), 8. März. Gestern
Abend trug sich hier ein seltsamcr Straßcn-
skandal zu. Dcr kath. Stadtpfarrcr Frhr. Nu-
dolf v. Linde (ein Sohn dcs StaatSraths v.
Linde, deS Gesandten am deutschen Bunde),
war in voller Amtstracht, mit der Hostie ver-
sehen, auf dem Wegc, einen Kranken zu besu-
chen, als ihm einigc Arbeiter begegneten, von
welchcn eincr die Mütze nicht abnahm. Der
Hcrr Pfarrer stürzt auf ihn zu und bearbeitet
ihn mit den Fäustcn dermaßen in dem Gcsichte,
daß dem jungen Menschen alSbald das Blut
aus Mund und Nase hervorschießt. Der also
Traktirte war so verblüfft über den unerwar-
teten Ueberfall des Frciherrn im geistlichen
Ornate, daß er sich wedcr thatlich zur Wehre
setzte, noch schrie, noch schimpfte. Er begab sich,
b.lutcnd, wie er war, zu dem Bürgermeister,
um diesem von dem Vorfallc die Anzeige zu
machcn, wurde aber, weil eS heute zu spät sei,
auf.den andern Morgen wieder bcstellt. Er
gab dann am andern Morgen seine Beschwerde
zu Protokoll. (Frkf. I.)

Aus Wien, B. März, schreibt der „Nürnb.
Corr.": Gestern hat hier dcr erste „Marschalls-
rath" unter dem Vorsitzc Sr. Maj. deS Kai-
sers stattgefunden. Einberufen sind und wohnen
demselben bei: die Kommandanten sämmtlicher
Armeen (4) und sämmtlicher Armeecorps (12),
mit wenigen meist durch persönliche Verhältniffe
begründeten Ausnahmeu — so ist z. B. der
Erzhcrzog Karl Ferdinand biSher den milita-
rischen Berathungen nicht bcigetretcn — die
Adjutanten und Generalstabschefs dieser Ar-
meen und Armeecorps, dann einige hier beftnd-
liche militärische Notabilitätcn, wie der alte
Feldmarschall Heß und Officiere des großen
Generalstabs.

Frankreich.

Paris, 11. MLrz. Jm Gesetzgebendcn
Körper hielt gestcrn ThierS eine lange Nede,
worin er die Handelspolitik der Regierung an-

griff, durch welche die Landwirthschaft ruinirt
worden sei. StaatSminister Rouher erwiederte
und zeigte, daß ber Handel viclmehr ein.gro-
ßes Mittel zur Beförderung der Landwirth-
schaft sei. Das (schutzzöllnerischc) Amendement
von Pouyer-Querlier wurde hierauf mit 192
gegcn 37 Stimmen verworfen.

Neueste Skachrichten.

Berlin, 12. MLrz. Dcr König hielt heute
einc längere Confercnz mit dem Ministerpräsi-
dentcn Grafen Bismarck, dem Chef dcs General-
stabes, Geueral v. Moltke, »em Generaladjü-
tanten, General v. Alvensleben und dem Chef
deS Militärcabinets, Generat v. Trescow ab.

Bucharest, 12. März. Vielseitig wird der
Prinz Alerander von Heffen-Darmstadt als
künftiger Fürst bezeichnet. Die Conferenzde-
putirten werden morgen abreisen. Die Ge-
mahlin Cusa's ist mit Genehmigung der Re-
gierung nach Ruginosa zurückgekehrt. Rumä-
nische Agenten sind nach Paris und Constan-
tinopel abgereist.

Aus Baden. DaS Lahrer Bürgermeister-
amt ist nunmehr endgiltig wieder besetzt, nach-
dem von 78 —51 Mitgliedcrn die Dienstnieder-
legung deS feithcrigen Gemeinde-Vorstandes
abgelchnt haben.

Motion des Abg. C. Eckhard

auf Vorlage eines Gesetzesentwurfs über die
obligatorische..Civilehe und die bürgerliche
Standesbeamtung.

(Forisetzung.)

Die erste Kammer lrat der A.ischammg ihrer Commis-

wurfes aus deni Gesctze vom 9. October 186^, bür-ier-
(Regleruugsblaik Nr. Seite 379), weg. ^

9 1860?^^^ ^

den mir zugänglich gewesenen Materialien für das Beste

*) R. v. Mohl. Staatsrecht, Völkerrecht und Politik
I. Bd. (Politik) S. 171 ff.
 
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