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Heidelberger Zeitung — 1866 (Januar bis Juni)

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Nr. 100-125 Mai
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https://doi.org/10.11588/diglit.2795#0458

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Herr» Lamey als kin bleibendes Zeichcn d-r
Ancrkcnnung nebst der Adreffe ein silberner
Lorbecrkran; überreicht werdcn soste und schloß
dann seine von vielem Beifall untcrbrochene
Redc mit einem dreifachen Hoch aus unsern
Landcssürsten, in das dic Versammlung mit
Begeifterung einsiel. Hr. Dr. Wolf machte
darauf aufmerkiam, daß an den AuSgängen
Büchsen ausgcstellt seie», nm die zum Ankans
des LorbeerkranzeS nöthigc Summc Wlfzu-
bringcn. ,

Hicrauf bcstieg der neu gewählte zweite Ab-
g-ordnete unserer Ltadt, Herr Proscssor Dr.
Wnndt die improvisirtc Rednerbühne und hiclt
zur Begründung der Adrcssc folgende, oftmals
»on lebhaftcm Zurus unterbrochenc Redc:

Meine Herrn l Der Herr Vorredner hat in
warmen und beredten Worten die Pflicht an
Jhr Herz gelegt, dem Manne, der sich den frei-
sinnigen Ausbau unserer Gesetzgebung znr Auf-
gabe gemacht hat, in diesem Augenblick, wel-
chen eine versassungsfeindliche Partei zu seinem
Sturze gekommen glaubre, ein Wort des Ver-
trauens nnd der Ermuthigung zuznrufen. Ge-
statten Sie mir, m. H., anf d-n Zusammen-
hang jenes in dem parlamentarischen Leben
unseres Landes unerhörten Ereignisses mit der
ganzen Geschichte der unter der Maske des
religiösen Fanatismus einhergehenden Reak-
tionsbestrebnngen einen Blick zu werfen. Die
großartige Agitation, die gegen das Schulaus-
sichtsgesetz »om Juli 1884 in's Werk gesetzt
war, überlebte bekanntlich — wie jede Agita-
tion, die auf absichtlicher Täuschung beruht —
die ernsthafte Durchsnhrung jenes Gesezes nur
wenige Monate. Schon bei der Verhandlung
unserer 2. Kammer über den P-titionssturm
im Mai 1865 war es dic allgemeine Stim-
inung, daß der Sturm selbst schon vorbei sei.
Das mißleitete Volk hatte bald durch den Au-
genschein stch überzeugt, daß die Religion nicht
gefährdet wird, wenn der Bürger selbst an
der Ueberwachung des Untsrrichts seiner Kin-
der sich betheiiigt; man hatte allmälig gemerkt,
daß die Kreisschulräthe nicht gerade die näch-
sten Anverwandten des leibhastigen Teusels,
sondern gauz ehrenwerthe Männer seien, denen
jede Religion heilig ist, weil sie oon demselben
Geist der religiösen Bildung durchdrungen sind,
der unsere gegenwärtige Regierung kennzeich-
net. Aber wenn wir meinten, daß der Kamps
überstanden sei, so wgren wir im Zrrthum.
Stund doch dlls wichtige Gesetz, welches das
in der Gesetzgebung oom Zahre 1860 ausge-
sprochene Prinzip der Trennung der Staats-
und Kirchengewalt in der Frage des Unter-
richts selbst durchführen sollte, das Schulgesetz,
noch bevor. Da bot sich, wenige Monate vor
der erwarteten Vorlage des Schulgesetzes, in
der Motion des Abg. Eckhard auf Einsührung
der obligatorischen Civilehe eine vielleicht er-
wünschte Gelegenheit, den Sturm zn erneuern.
Die Kapläne von Bruchsal bliesen znm
Angrifi und die Zungfrauen von Ober-
gimpcrn waren die Vorhut. Die politische
Strategik dieser Partei, m. H., ist eine unta-
delhafte. Sie weiß es wohl, daß es gefährlich
rst, durch einen einzigen Angriff eine Festung
erstürmen zu wollen. Sie schickt allmälig ihre
Sturmkolonnen iu's Feuer, sucht da und dort
erst Bresche zu schießen, bis endlich dic Haupt-
attaque erfolgt. Seit der Bruchsaler Versamm-
lung am 15. Febr. d I. ist fast kcine Woche
vergangen, in der nicht irgend eine Lffentliche
Kundgebung geschehen wäre, abgesehen von den
täglichcn Vernnglimpfnngen der ultramonta-
nen Preffe. Erst in diesen Tagen wieder haben
sich zweihundert Freiburgerinncn an das Herz
der Frau Großherzogin gewandt; und die
Wahlmänner von Waldkirch hatten dem Abg.
Eckhard eine MiMininungsadresse zugestellt.
Die Art ist bezeichnend, wie man den Kampf
führt. Die Kammer der Volksabgeordneten
hat natürlich längst das Vertrauen dieser Par-
tci verloren. Man geht an die erste Kammer,
au den Großherzog, und nicht genug, daß man
cs wagt, unsern pflichttreuen Fürsten zu einer
Aufhebung des Gesezes ausznsorde^n, muthet
man ihm sogar die Schwäche zu, sich durch
seine Frau-zum Verfässungsbrnch verführen zu
lassen. Den wackern Bürgern von Waldkirch
aber macht man weiß, der Antrag, die Civil-
ehc sei ein Angriff ihrer Geldbeutel, und dieser

Beweggrund ist immer stichhaltig. Die Pe-
titionen und Erklärungen gegen die Civilehe
waren aber nur das kleine Gcschütz, die große
Bombe, die man sich zum letztenEfsekt aufgespart
hatte, und vondermansich eine gewaltigeZerstö-
rung versprach, das war die Ministeranklage
des Frhrn. v. Andlaw. Zn dem Moment sollte
sie einschlagen, wo das neue Schulgesetz vor
die Stände kam. Sie wird, so sagt man sich,
den Neubau in feiner Entstehung vernichten,
mit ihin das ganze Gesetz vom Jahr 1860
nnd die Regierung, die dasselbe vertritt. Der
Angriff ist mißglückt. Die Bombe ist geplatzt,
doch der Minister Lamey ist stehen geblieben.
Aber, m. H., es wäre eine falsche Taktik von
uns, wenn wir in diesem Mtoment in Sieges-
jubel ausbrechen wollten. Ein zurückgeschla-
gener Angriff ist uoch kein errungener Sieg.
llnd wenii wir nicht bei Zeitcn verhindern,
daß noch viele Angriffe wie dieser fich wieder-
holen, so kann die Feftung 'doch noch genom-
men werden. Auch dieser Angriff ist vielleicht
nicht ganz ohne schädliche Wirkung gewesen.
Lesen Sie nur die Berichte der ultramontanen
Blätter über die Verhandlungen unserer ersten
Kammer. Dawird erzählt, wie dieser Minister La-
mey in weitschweifender ausweichender Rede sich
habe der Anklage entziehen wollen. Wie der
greise, edle Frhr. von Andlaw jetzt eine Rcde
gehalten, in der jedes Wort ein Dolchstoß ge-
wesen fnr dieses Ministerium. Diese Leute,
m. H., behaupten, sie hätten' den L>ieg errungen,
und das giebt uns jedenfalls die Sicherheit,
daß ste ihren Angriff erneuern werden. Aus-
führlich geben sie ihren Lesern die Rede des
Frhrn. zum Besten, die Entgegnuug aber ver-
schweigen oder verfälschen sie. llnd wie kann
dann ein solcher Leser sich dem Eindrnck ver-
schließen, daß hier wirklich ein unerträglicher
Zwang des Gewissens ausgeübt worden sei.
Zahre lang hat diese ultramontane Presse syste-
matisch darauf hiugewirkt, das Rechtsbewußtsein
und das bürgerliche Pflichtgcfühl der Bevölke-
rung, die hier Einfluß übt, zn untergraben.
Sehen Sie sich diesen Fnrsteu von Löwenstein
an, der ist im bnchstäblichen Sinu ein spre-
chendes Exempel eines solchen oon einer gewis-
senlosen Presse beeinflußten Menschen. Sobald
er nichts mehr weiß — und der Fall tritt sehr
oft ein — so sagt er sein Sprüchlein her:
„man muß.Gotl mehr folgen, als den Men-
schen!" Soweit hat man es gcbracht, daß
inan den armen Miißleiteten zwischen der bür-
gerlichen und' religiösen Psiichterfüllung die
Wahl läßt. Eins oder das atzdere, beides zu-
sammen geht nichtl

Was Diejenigen, Lie diesen Conflict heranf-
beschworen, bei dieser Beängstigung der Ge-
wissen im Schilde fßhren, es.läht stch leicht
durchschauen. Haben diese Leute wirklich die
Meinung; daß die Durchführung der Gesetze
vom Zahr 60 und 64 nothwendig zu einem
Zwiespalt der Pflichten sührt? Nein, m. H.,
dazu ist ihre Sophistik zu fein und doch auch
wieder viel zu klar auf der Hand liegend, dazu
treffen wir oiel zu viel Spuren absichtlicher
Lnge und Entsteüung, als daß dies Trug-
gewebe nicht von seinen Urhebern selbst durch-
schaut werden müßte. Man hat bei uns die
religiöse Streilsrage nur benützt, um damit
politisches Kapital zu machen. Unsere freistn-
nige Geschgebnng, nicht der Conflict sittlicher
Pflichten ist es, der die Seele des Frhrn. von
Andlaw belastet, und ihm und seinen Genossen
ist es eine schwcre Sorge, es möchte die Re-
form unserer Gcsetzgebung noch nicht beendet
sein. Wnrum sind es denn gerade die Mit-
glieder des grundherrlichen Adels katholischer
und protestanlischer Seits, die den Berufinstch
fühlen, als Ritter der Kirche in die Schranken
zu treten? Nun, m. H., es isi ja die histo-
rische Mission unseres deutschen Adels, daß er
immer zurück ivill; und daß er mit allen
Mächten in Alliänz tritt, deren Ziel wie das
seine in der Vergangenheit liegt. Während der
englische Lord die Stellung, die ihm das Ge-
schick an der Spitze der Gesellschaft gegeben hat,
sich dadurch zn verdienen sncht, daß er durch
Bildung mid Sitte den Andern ooran ist, ftützt
unjer Grundherr seine bevorzugte Stellung in
der Gesellschaft einzig auf seine G-burt. Und
er weiß es dahin zn richten, daß dieses Ver-
dienfi, geboren zn sein, möglichst wenig von

, andern Verdiensten übersirahlt wird. Während
die übrigen Stände emporkommen, ist unser
Adel immer mehr rückwärts gegnngen. Mit
jenen souveränen Hcrren der deurschen Ver-
gangenheit, die auf eigene Faust im Land um-
hcrzogen, nm Kaiser und Reich stch nicht küm-
merten, Krieg machten und Frieden schloffen,
unsere Borfahren, die als ehrliche Bürger und
Banern ihren Handel und Wandel trieben,
brandschatzten und plünderten, für jene kön-
nen wir noch eine gewisse Sympathie empftn-
den. Sie stnd wenigstens brauchbare Roman-
helden. Aber was sollen wir zu nnserm Adel
oon heute sagen? — Jch gestehe, ich habe nie
große Stücke auf unsere Reichsbarone gehalten,
dereu Vorzug dariu besteht, daß ste einen langen
Stammbaum und ein Stück von dem Grund
nnd Boden nnseres Landes haben. Aber bis-
her konnte man wenigstens glanben, der grund-
herrliche Adel in Baden sei nnr ein todtes Rad
an unserer Staatsmaschine. Die neuesten Vor-
gänge, m. H., haben uns von dieser unschul-
digen Auffassuirg gründlich geheilt. I» andern
Ländern, wo der Adel auch an der Spitze der
Reaction marschirt, sucht er wenigstens seine
Schwerkraft istcht anßerhalb des Landes, dem
cr angehört. Unsere Grnndherren gehören uns
blos durch Gebnrt, Eigsnthum oder Vorrechte,
ihre wahre Heimath liegt jenseits der Berge.
Und es wird gut sein, wcnn wieder einmal
für Reform unserer Versassnng die Zeit kommt,
von der Stellung Akt zu nehmen, dic stch jene
Herren selbst zum Staate gegeben haben.

So verschieden anch die Hilfsmittel stnd, die
die Reaction in diesem Angenblick in den ver-
schiedenen dentschen Lauden znr Hand hat, eine
merkwürdige UebereinstimmUng ist doch da. Die
Reaction fängt an zu demokratisiren. Wäh-
rend der Graf Bismarck allgemeines directes
Stimmrecht proclamirt, ruft der Freiherr von
Andlaw: „Alles für das Volk, Alles durch dns
Bolk," unsere Capläne begeistern stch für die
Anterrichtsfreiheit, befürworten mit dem Rbg.
Roßhirt ein liberaleres Wahlgesetz. Der Wolf
im Schafspelz ist gefährlich, m. H., hüten wir
uns vor dieser Reaction, die ein demokratisches
Gewand anzieht.

Der Angriff, m. H., den wir hier erlebt, er
wird voransfichtlich nicht der letzte sein. So
lange diese Partei die retigiöse Frage als
Waffe der politischen Reactiou gebranchen kann,
wird ste es thun. Das wird aber geschehen,
so lange nicht die im Zahre 60 begoniiene Re-
form unserer Gesetzgebung auf der dort gege-
benen Grundlage ausgebaut ist. Wenn etwas
unsern Minister überzeugen konnte, daß auf
dem Weg des Tractntes durch Zugeständniffe
mit dicser Partei nichts mehr erreicht werden
kann, so war cs jener Angriff. Zn dem Mo-
ment, in welchem die Vereinbarung über das
Schulgesetz mit der Curie geschehen war, hat
der Freiherr von Andlaw seine Anklage por-
bereitet. M. H., wenn der Feind, der mir die
Rechte zum Friedensbunde reicht, mit der Lin-
ken den Dolch gegen mich zückt, — wahrhaftig!
so habe ich Grnnd genug zu denken, daß der
Friede nicht ehrlich gemeint ist. Glanien Sie
nicht, m. H., daß der Freiherr von Andlaiv
bloß aus eigenem Zmpuls handelte — die Partei
hat Discipliu — sein Angriff wäre jedoch un-
terblieben, wenn man ihn nicht gewollt hätte.
Die Concessionen, die die Regierung in der
Unterrichtsfrage der Kirche gemacht hat — viele
von uns werden sie zn weit gehend finden, aber
es ist hier istcht der Ort, davon zu reden —
sie gingen jener Partei immer noch nicht weit
genug. Wer sie dnrch Nachgeben befriedigen
will, der muß ihr die Herrschaft geben, unter
diesem Preis thut sie's nicht. Wie uns den
Frieden zu geben, dafür gibt's noch einen an-
dern Weg, er heißt: consequente Dnrchführung
des im Zahr 60 anfgestellten Grundsatzes der
Trennung der Kirchen- und'Staatsgewalt. Und,
m. H., wenn wir. dies bekennen, wenn wir
energisch daranf hinwirken, wie dieses neueste
Vorgehen der reactionären Partei von neuem
den Beweis lieferte, daß mit ihr auf dem Weg
der Commissioneii und der mittlern Maßregeln
der Friede nie erreicht werden kann, — dann,'
m. H., kann das Wort, das der Minister Lamey
gesprochen hat, wahr werden: „Sie wollen mir
eine Dornenkrone geben. Hüten Sie sich, daß
nicht ein Lorbeer daraus werde!" M. H., Spre-
 
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