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Heidelberger Zeitung — 1866 (Januar bis Juni)

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Nr. 126-151 Juni
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https://doi.org/10.11588/diglit.2795#0610

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daß die bestimmte Gemeinde, in dcr dic Fabrik
liegt, die Arbeitsthätigkeit der Fabrikarbeiter in
Empfang nimmt, sondern es ist das in erster
Linie der Fabrikherr. Für die Gemeinde ist eS
oft etwas gar nicht sehr AngenehmeS; nament-
lich in früheren Zeiten haben sich die Gemein-
den sehr häufig gegen die Errichtung von Fa-
driken auf ihren Gemarkungen entschieden ge-
wehrt. Wie Das zu ordnen sein wird, darüber
wird mcines Erachtens zunachft die Prüfung
wohl in den Kreisversammlungen gcmacht wer-
den können, für dic nach meiner Ansicht die
Armenunterstützung und die Armenfrage das
wahre Element ihrcr Thatigkeit. oder doch das
wichtigste Element ist, und in dieser Beziehung,
wenn sie diese Frage aufgreifen, sich die schönste
und glorreichste THLtigkeit verschaffen können.
Eine Acnderung zur Zeit fLllt aber außeror-
dentlich schwer, weil noch alle unsere VerhLlt-
nisie auf bcstimmtcn Basen beruhen; welche
Acnderungen wir aber auch treffen, die Mittel
zu Armenunterstützungen müsien wir immer
schaffen.

Wenn ich der Ansicht bin, daß der Egois-
mus des Vermöglichen nicht dazu dienen darf,
den armen Fabrikarbeiter, den armen Taglöhner
zu unterdrücken, wcnn ich der Ansicht bin, daß
bei dcr Armenunterstützung es wünschenswerth
ist, vorzugsweisc die vermögliche Klasie heran-
zuziehen, so wird das immer eine große Schwie-
rigkeit darbieten, und cs wird nur als letztes
Auskunftsmittel gedacht werden können, daß der
Staat eintrete; man könnte sonst denken, es
könne wie bei dem Gesetz über den Aufwand
für die Volksschulen gesagt werden, daß, wenn
in einer Gemeinde der Aufwand eincn bestimm-
ten Betrag überschreitet, die Regierung irgend-
wie eintreten solle. Gewisse Summen muß der
Staat für Armcnunterstützungen stets bereit
haben, und es besindet sich auch zu diesem Zweck
eine Position im Budget. Jm Ganzen hoffe ich,
daß die Gemeinden selbst nach und nach über
dieses Gesetz eine richtigere Anschauung gewin-
nen; wenn es eine Zeit lang gewirkt hat, wer-
den sie vcrgessen, daß sie früher in höherm
Grade die Herrcn waren über das Schicksal
ihrer Lrmern Mitbürger; sie werden, wenn das
Gesetz cine Zeit lang gewirkt hat, vielleicht be-
merken, daß die Wirkungen dieses Gesetzes
außerordentlich überschätzt werden, daß sie außer-
ordentlich viel größere Besorgnisic haben, als
das Gesetz mit sich bringt.

Wenn ich mich im Uebrigen an die Zeit er-
innere, in welcher der Vermögensnachweis ge-
liefert wcrden mußte, und ich habe diese Zeit
zum Theil als Anwalt mitgemacht, so muß ich
gestehen, daß das eigentlich die schlechteste Art
war, einen Nachweis zu bringen. Da waren
die Lrmeren Leute genöthigt, irgendwie sich die
Mittel zu verschaffen, um diesen Nachweis zu
liefern, und wenn sie den Nachweis gebracht
haben, und man wolltc den einen oder andern
Mann doch nicht, dann mußtc er den redlichen
Erwerb und Besitz nachweisen, und es ist in
der That nichts schwerer, als den Nachweis des
Erwerbs einer Summe zu liefern, die aus Kreu-
zern herangesammelt werden muß. Was machte
man schlicßlich? Die Leute legten ein Sparbuch

an; in der Ncgcl war die Einlage aber gar
nicht nach und nach aufgesammelt, sondern es
war eben eine Summe, die in einer Sparkasie
lag, und weil das dann cin Lrparbuch war,
hatte man kein Recht mehr, daran zu zweifeln,
daß das erspart ist; es war aber in der Regel
auch kein erspartes Vermögen, eS war von einem
guten Freund, von der Mutter dcr Braut, odcr
gar von dem Gemeinderath, der die Frau los
haben wollte, hineingelegt, und man mußte das
fast entschuldigen gegenüber der Grausamkeit
des Gesetzes. Jch meine, wir wollen froh sein,
daß wir das Gesetz so geLndert haben, und
wollen hosien, daß es unS möglich werde, in
Zukunft gegen den Egoismus und gegen die
Jnteressenmeinung mil der Zustimmung der
Wohlmeinenden und der echt christlich Gesinn-
ten auch noch weiter zu gehen.

(Allseitiges Bravo.)

* Karlsruhe, 6. Juni. Sc. Königliche
Hoheit der Großherzog ift so eben, Abends
nach 6 Uhr, von dcr im Jntereffe der Erhal-
tung des Friedens, auf Grund der Bundes-
reform und einer Parlamentsberufung, unter-
nommenen Reise in die Nesidenz zurückgskehrt.
Diese Bcmühungen sivd leider gescheitert.

-f* Karlsruhe, 6. Juni. Morgen Don-
nerstag, 7. Juni, wird mit dem Ankauf von
Remontepferden der Anfang gemachl. Zugleich
werden die Beurlaubten, 20 Mann per Com-
pagnie, zu ihren Regimentern einberufen. Man
glaubt, daß die Truppen in der Nahe der Re-
sidenz, auf dem großen Ucbungsplatz bei Forch-
hcim, ein Uebungslager in BLlde beziehen wer-
den. So wird es mit den militLrischen Rü-'
stungcn auch bei uns mehr und mehr Ernst.
Jm Uebrigen steht es außer Zweifel, daß Baden
einer gesunden Politik folgend, nur im engen
Vereinc mit Bayern und andern deutschen
Mittelstaaten seinc Schritte bei der gegenwLr-
tigen ernsten Lagc Deutschlands bemessen werde.
Heil für die Mittelstaaten ift vorlLufig nur in
dem Bundesrecht zu stnden; eine entschlossene
Erfüllung ihrer Bundespflicht, sö bald diese
rust, ist daher ihre erfte Aufgabe, der jede an-
dere Rücksicht weichen muß. Je entschiedener
und muthiger die Gliedcr dieser Pflicht nach-
kommen, desto mehr werden sie im Stande sein,
der furchtbaren Krisis, die den erkrankten deut-
schen Körper ergriffen har und aufzulösen droht,
noch eine Wendung znm Besiern zu gcben.

x Karlsruhe, 6. Juni. Dem Verneh-
men nach hat die Commission der 2. Kammcr
bezüglich der von der Stadt Badcn über Ver-
lLngerung der Spielpacht bis zum Jahr 1870
übergebencn Petition mit geringer Majoritat
beschlosien, zu beantragen, daß dics Bitlgesuch
der großh. Regierung zur Kenntnißnahme über-
wiesen wcrde. Damit ist natürlich über die
Sache selbst nichts entschieden.

Aus Baden, 5. Juni. Der Aus-
schuß des deutschen Handelstages ist gegenwLr-
tig in Kasiel versammelt, um auch scinerseits
seine Stimmc für Erhaltung deS Friedens zu
erheben. Die Lage der gesammten deutschen
Jndustrie und Geschäftswelt wird von Tag zu
Tag ernster und trüber; Tausende von Men-
schen werden arbeits- und brodlos, und doch

stchen wir erst im Anfang all dcr Uebel, welche
ein fluchwürdiger Bruderkrieg, angefacht durch
den maßloscnEhrgeizWeniger, über unser armes
Deutschland heraufzubeschwören kein Bedenken
trLgt. Don Seiten Badens nimmt der Abge-
ordnete Moll, PrLsident der Mannhelmer Han-
delskammer, Antheil an den Kasieler Verhand-
lungen.

c5 Aus Baden, 6. Juli. Daß man in
unsern Regierungskreisen vor Allcm darauf be-
dacht ist, den unheilvollen Bürgerkrieg zwischcn
Deutschen und Deutschen abzuwenden, dafür
liefert die Reise unsers Großherzogs einen neuen
Beleg. Jeder, der nicht ein cnragirter Partei-
mann auf der einen oder andern Seite ist,
wird sich nur freuen, daß die edlc und uncigen-
nützige Persönlichkeit dieseS Fürsten, der zuerst
in Deutschland oas Recht des Volkes in die
ofstciösen Kreise erhob, und ihm seine Diplo-
matie zur Verfügung stellte, gerade jetzt wieder
als der Erste vcrmittelnd in die Reihe tritt.
(Das Meiste in dieser vermittelnden Beziehung
HLngt freilich von dem größern Mittelstaak
Bayern ab, und man darf sich auch von dem
dortigen Regenten des Besten versehen, insofern
er von dcm Netze, womit ihn die ultramontane
Partei fort und fort, wahrscheinlich selbst durch
Anzettclnng von StraßenauflLufen — zu um-
garnen droht, ferne hält).

* A*is der bad. Pfalz, 3. Juni. Jn
Frankenthal ist ein Verein zur Wahrung
deutscher Jnteressen gegründet worden,
dessen Statuten folgende sind: „1) Das Co-
mite constituirt sich als Verein, welcher sich
zum Grundsatz macht, sich in dem Maßstabe
zu erweitern, daß die Agitation eine allgemeine
werde. 2) Zweck des Vereins ist, die Tren-
nung des linken Rheinufers vvn Deutschland
mit allen gesetzlichen Mitteln zu verhindern.
3) Die für die Wirksamkeit des Vereins er-
forderlichen Geldmittel werden durch freiwillige
Beiträge gedeckt. 4) Die Erreichung des Ver-
einszweckes soll durch Agitatiott mittelst Wort
und Schrift angestrebt werden. 5) Der Ver-
ein hat vorläufig seinen gesetzlichen Sitz in
Frankenthal erwählt, und ist dessen Leiümg
einem engeren Ausschusie von 7 Mitglicdern
übertragen."

Wir hegen die Ueberzeugung, daß auch die
diesseitige Bevölkerung den Zwecken des Ver-
eines, dem sich sämmtliche Rheinprovinzen an-
geschlossen, ihre Aufmerksamkeit und gewichtige
Unterstützung zuwenden wird. Die Gefahr der
Lostrennung der Rheinlande von Deutschland,
die Größe des Unglücks einer solchen kann nicht
oft genug ausgesprochen werden, und hoffen
wir auch bei uns auf eine zahlreiche Betheili-
gung.

Darmftadt, 6. Juni. Die Hessische Lan-
deszeitung glaubt zu wisien, das Ministerium
beabsichtigc nach Verweigerung der Creditfor-
derung dic Kgmmer aufzulösen. Der Groß-
herzog solle jedoch einer solchen Maßregel nicht
zugeueigt sein. Sollte es deunoch zur Auflö-
sung kommen, alsdann soll Herr v. Dalwigk
vor den Neuwahlen einige liberale Concessionen
zu machen beabsichtigen.

Frankfurt, 3. Juni. Der Ansschuß der
Frankfurter Volksversammlung hat unter dem
31. Mai folgenden „Aufruf" erlassen:

regierunq daS gesammte deulsche Vakerland gestürzt bal,
legt jedem deutschen Manne die h-iligsten Pflichten auf.
Es handelt sich mn^ un^re^iationa^ Eristenz, iinsere

welche am 20. Mai d^ I. zn Frankfurt a. tagte^

Versammlungen. bildet Vereine, wählt Männer^ die

*) Der AuSschuß besteht auS den Herren: Bebel (Leip-
zig), Crämer (DooS), Eichelsdörfer (Mannheim), Gögg
(Offenburg). Grün (Heidelberg), Kolb (Speyer), M.or-
genstern (Fürth), C. Mayer (Sluttgart). v. Neergard
(Kiel), Röckel (Frankfurt a. M.). G. Struve (Frank-
furt a. M.), Traberl (Hanau).

eine Geldstrafe beantragt hatte, verurthellten die ^
Richter den Angeklagten Gottschick zu einer Ge-
fängnißstrafe von 14 Tagen, weil Herr v. Hülsen
in seinem Amtsberufe beleidigt worden'sei. Blych

(Mutterltebc.) Auf einer klelnen Etsenbahn-

geduldig wartete, bis der letzte Waggon wieder die !
Staston verließ. Niemand kannte dte alte Frau, !
und da fie mit Niemanden svrach, kümmerten fich !
die Leute auch nicht weiter um fie. Vor wenigen ^
Tagen hatte fie sich auch wieder auf ihxem Posten
eingefunden. Ein Mtlitärzug brauste heran. Plötz-
lich ertönt aus einem der Waggons ein Schrei, die
alte Frau antwortet, ein junger Soldat erscheint
an einem Wagenfenster, schwingt sich auf die Brü«
stung -und springt, während der Zug in ein lang-
sameres Tempo übergeht, mit einem mächtigen Satze
auf ven Bahndamm hinab. Jm nächsten Augen-
blicke lagen fich Mutter und Sohn schluchzend in

den Armen. Zehn Meilcn Wegs hatte die alte Frau
zu Fuße gemacht, um ibr Kind — zwei Minuten
lang sehen^zu können. Der Mahnruf des Schaff-

Umarmung, der Soldat springt wieder in seinen
Waggon und der Zug setzt fich in Bewegung. Mit
Aufgebot aller Kräfre lauft die alte Frau eine
Weile nebcn dem Waggon ihres Sobncs her, dann
finkt fie in die Knie, streckt laut sckluchzend die
Arme, »yie segnend, nach dem enteilenden Train
aus und verweilt in dieser Stellung, bis der letzte
Wagen ihren Blicken entschwinvet.

^ Freiburg, 3. Juni. Die hiefiye Frohnleich-
nams-Procesfion 'wurde im Allgemernen mit der
herkömmltchen Pracht begangen. Der greise Erz-
bischof, welcher sonst dieser Procesfion immer bei-
wobnte, war dicsmal nicht anwesend. Sr hat sich
nämlich von seiner Krankheit noch nicht vollkommen
erholt und bat in der letzten Zeit fichtlich abgenommen.
— Seit acht Tagen ist der Wall (Rempart) auf
der nördlichen Seite der Stadt vollkommen abge-
graben, wodurch die Stadt nach dieser Seite hin
^hr gcwonnen hat. — Nächstcr Tage^vird^ in^ d^r

znr Ausführung kommen, wobei mufikaltsche Kräfte
auK Karlsruhe und Bascl mitwirken werden.
 
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