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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 7.1927

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Heft 8 (August 1927)
DOI Artikel:
Litt, Theodor: Vom Bildungsganten und der Kunsterziehung
DOI Artikel:
Hartlaub, Gustav Friedrich: Impressionismus, Expressionismus und neue Sachlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.23855#0213

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185

von denen ich sprnch, ausgehoben oder gekilgt wären,
nichk darauf, üasz daS Zweckhafte einerseiks und das
Aesthetische andererseiks sich zu einer trüben Mi-
schung vereinigten.: sondern wertvoll und reizvoll
ist das Gebilde angcwandter Kunst, wenn In ihm
jene beiden Logoi in völliger Aeinyeit erhalten und
so zu einer böchst spannungshalkigen Einheik ver-
bundcn siud. Also auch hier steht es so, dasz nichk
der äußere Ausgleich, sondern das Durchleben der
Spannung den eigentlichen Aeiz ausmachk und die
innere Befreiung bewirlrk.

So lehrt unsere iloekrachtung in allen Teilen: ihren
Diensk am Leben, ihren Dienst an öer Gestaltung
menschlichen Daseins wird die Kunst nur dann uuS-
zuüben imstande sein, wenn sie ihr eigenes Wesen
vor allen Becsälschungen und Selbstentfremdungen
zu wahren weijz. 3ener „Panästhetizismus" ist, wte
ich glaube, dei Kunst viel gefähriicher, als die Glsich-

gültlgkeit mancher Bildungskreise; denn die letzt-
genannten lassen die Kunst ungeschoren, aber jener
Panästhetizismus ürohk die Kunst zu verfälschen. Es
gilt gegenüber dlesen Meinungen an einen Gedan-
ken zu erinnern, den In klassischer Prägung einmal
Schiller ausgesprochen hat: daß die Kunst mik-
kelbar sehr vieies vortresflich mache, was ihr un-
mikkelbar sehr schlecht gelinge. Schiiler hat ganz
genau gewuszt, daß die Kunst, wenn sie den Anspruch
erhebk, auf die Sitklichkeit, auf den Staat usw. ein-
zuwirken, auf dem besten Wege ist, sich selbst zu ver-
lieren. Umgekehrt: wenn sie ganz und rein Ihrem
eigenen Wesen gehorcht, dann wird das Leben am
ehesten die Segenswirkungen erfahren, die von ihr
ausgehen können. Darum wird auch der Kunsterzle-
her die starken Spannungen nicht nur ertragen, son-
dern auch bejahen müssen, die sich gerade bei ent-
schlossener Wahrung dieses ihres Eigenwesens her-
ausstellen.

Impressionismus, Expressionismus und neue Sachlichkeit

Vortraa von Museumsdirektor Dr. 6 artlaub- Mannheim auf der tzauptversammlung
der Neichsverbäude akad. geb. Zeichenlehrer und Zeichenlehrerinnen
tn KarlsruLe. Pfinakten 1927

Meine Damen nnd Herrenl

Herr Prof. Litt hat mir meine Aufgabe insofern
nicht ganz leichk gemacht, als er schon über mein
Thema „ExpressionISmus und neue Sachllchkeit in
der Kunfterziehung" Entscheidendes gesagt hat. Aber
vielleicht schndet es nicht viel, wenn hier dieselben
Grundfrageii'Zur Berhandlung stehen. Es sind Fra-
aen, die uns alle bewegen, und Insofern ist ihre Be-
ieuchtung von verschiedenen Einstellungen her nur
förderlich.

Menn wir zurückschauen auf die lehten 30 Oahre
der Kunskerziehung — und zwar in beiderlei Sinn,
als Bildung der „produktiven" und als Förderung
der „rezeptiven" kunstempfangenden Kräfte des Kin-
des — so isk es nicht schwer, festzustellen, dasz diese
Enkwicklung des Ilnterrichks Ausdruck unserer allge-
meinen künstlerischen Mandlung gewesen ist.

Bis 1890 sinden wir im grotzen und ganzen das
Prinzip einer mehc mechaniflertsn Ilnkerrichksauffas-
sung, wie es dem Geisk der Zeit allgemein enkfprach:
das Prinzip des „Drills", des „Exerzierens', und
zwar gerade schon bei der jüngsken Altersskufe des
Schülers. Das Kind wurde bekanntlich zunächst ein-
mal gezwungen, gerade und krumme Skriche mög-
lichst sauber und kvrrekt zu machen. Später folgte
dann lange Zeit hindurch der jammervolle Zwang auf
üas Kind, beskändig ankike Ornamenke nach Borlagen
und Abgüssen nachzubilden, wobei das Ergebnis,
nicht einmnl so, wie es vom Kinde entstanden war,
herausgelassen werden durfke, sondern noch lehrplan-
gemäfl den Stempel „verbessernder" Korrekkur des
Lehrers tragen muszke. Mit Schulung derHand,
vom Aeufleren, Makeriellen, PhysisclM des jungen
Alenschen auS, wollke man beginnen, um dann das
andere, was mit dem Sehen, mit der Erziehung des
Auges zusammenhängk oder gar mit seiner Inneren
Borstellungskraft, erst späker oder garnicht zu behan-
deln. Wir wissen es alle: diese Art von planmäfligem

Drill der Hand hat die Lustbetonung, üie unmittel-
barste Arbelksauelle im Zetchenunterricht, überhaupt
verstopfen müssen. Wir müssen nachträglich noch
immer staunen über das ungeyeure Mah von „Un-
psychologie", das die Generakion der Gründerzeit auf-
gebracht hak, von Ankipsychologle gegenüber eknfach-
sten Taksachen im Seelenleben des Kindes, welche
nicht verstand, dast man bei einem Kinde nicht
beim Aeutzeren, Ilnentwickelken anfangen üarf, bei
seiner Körperlichkeit, sondern bei seinen inneren
seelischen Aaturkräfken — nicht bei seinem „3ch",
denn ein „Och" hat das Kind In seiner Objektver-
bundenheit noch kaum. Es ist klar, daß man an-
fangen muh mit seiner Imaginaklv-spielenden Natur
und dafl man diese frühentwickelten, später absterben-
den Kräfke im Zeichenunterricht ausnühen muh.
Kein Zweifel, dah manche Begabung, viellricht nicht
gerade die schwächste, durch die schweren Unlustkom-
plexe, die sich in der frllhen Kindheik infolge physi-
schen Zwangs im Zelchenunkerrichk ausgebildek haben,
dauernd „verdrängt" worden Ist, dah manche Men-
schen in ihrer angeborenen Sprachr — die das Zeich-
nen sein kann — endglllkig verkümmert worden
sind infolge dieser seelenwidrigen Vehandlung. Dah
man auf einer solchen makerialistlschen Stufe für
Erziehung zum Sehen, für Kunstbekrachkung — kroh
verelnzelter Reformvorschläge — in der Schule nicht
viel üorig hakte, dah jede Förderung des rein an-
fchauenden Bermögens bei einem haib abskrakt-
humanistifchen, halb ukilitariskischen Lehrplan erfl
recht zu kurz kam, ist klat.

Die geschilderte Phase des Schulunterrichks ist
Ausdruck einer Situaklon, elner Etappe der Kunsk,
die eigsntlich um 1890 herum längst veralket war.
Aber es ist eine Tatsache, dah in den engeren Kreis
der Schule die grohen Bewegungen des Geistes erst
spät hineindringen und sich dork erst zu festen
Lehrplänsn konsolidieren, wenn sie drauhen im
 
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