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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 14.1879

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Fabriczy, Cornelius von: Die antike Kunst auf dem Trocadero, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5791#0044

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Die antike Kunst auf dem Trocadero.

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ihnen allen die köstlich-naive Unmittelbarkeit mehr oder
weniger verschwunden, welche die tanagräischen Kvpf-
chen so sehr auszeichnet. Außerdem besitzt die Samm-
lung Lecuyer nur ein ganz erhaltenes Exemplar:
die Hautreliefgrnppe von Herakles und Omphale, in
inniger Umarmung nebeneinandersitzeud, vergoldet, wie
denn fast alle kleinasiatischen Terracotten Spuren cin-
stiger Vergoldung zeigen. Dagegen bietet die I. Grsau'-
sche Ausstellung gerade in diesem Genre einen un-
glaublichen Reichthum dar: 230 ganze Figuren und
Kvpfchen, außerdem noch eine Anzahl von Formen
sür die Herstellung der ersteren. Unter den ganzen
Figuren ragt zunächst eine Folge von Erosgruppen
hervor, in welchen der Gott mit Thieren in Verbin-
dung gebracht ist, z, B. Amor einen fliehenden Hund
bcim Schweife fassend, Amor mit dem Pfau, dem Perl-
huhu, Amor mit einem Tiger, den ein Hund, auf
seinem Rücken stehend, in den Nacken beißt, auch ein
Amor neben einer Venusstatuette stehend, dem ein
nacktes Mädchen die Sandalen löst, — alles Motive
von reizender Erfindung. Auch zwei Einzelgestalten
von Amorcn, an Cippen gelehnt, von Praxitelischer
Weichheit der Formen. Sodann eine Reihe von Venus-
gestalten, zumeist mit dem Delphin gebildet, ihr Haar
vrdnend oder lösend, eine, die schönste von allen, einen
Dorn oder ein Sandkorn von der Ferse des erhobenen
Fußes streifend; ein Perseus in voller Rüstung mit
Gorgonenschild, aufwärts blickend, sehr lebendig; zwei
Frauen einander im Schvoße sitzench (Bemalung fast
ganz erhalten) außerordeutlich zart im Mvtiv, flüssig
in den Linien; zwei charakteristisch gefaßte Pendants
eines Bettlers und einer Bettlerin (Tarsos); cin gro-
tesker Schauspieler (Cypern): die Seele eines Kindes
als geflllgelter Genius der Erde entschwebend (Tarsos)
von sehr feinen Formen. Noch vollendeter im Aus-
druck sind die zumeist etwas größeren Köpfchen, dar-
unter mehrere vortreffliche Heraklesköpfe, und eine Folge
von etwa 50 Groteskköpfchen des mannigfach köstlichsten
Ausdrucks. Hieher gehört auch die originelle Form
zu einer Polichinelleniaske (deren Abdruck beiliegt) so-
wie andere Formen sür ganze Gestalten und Torsen
(aus Cypern und Tarsos), woraus zu entnehmen,
daß die Köpfchen besonders hergestellt und aufgesetzt
Wurden.

Bei den übrigen Saminlern kommen kleinasiatische
Terracotten nur in einzelnen Exemplaren vor, so bei
Bellvn eiue hvchst elegante, jungfräulich schlank ge-
bildete Aphrodite Anadyomene, ihr Haar vrdnend und
iu einen Spiegel blickend; bei Hirsch ein ganz ähn-
liches Motiv, nur in's Bewußtere und in weiblich
vollere Formen übersetzt; ebendort ein bacchischer Genius
eine Traube emporhaltend, von leichtbewegter, etwas
kokett bewußter Haltung aber tadelloser Mvdellirung.

Nur O. Rayet ist wieder in der glücklichen Lage,
deren eine Anzahl ausstelleu zu können; Vvr allem
vier Grotesken: einen Verkäufer, einen Taschenspieler,
einen Marktschreier und einen Ballspieler, alle vier
Beispiele vollendetster Häßlichkeit. Der Gegensatz
zwischen den zum Aeußersten zusaminengeschrumpftcn
Leibern, den ausgedörrten Gliedmaßen, und zwischen
der Kraftanstrengung, die sie dvch machen müssen, um
sich durch's Leben zu schreien, zu spielen rc. wirkt höchst
komisch; dabei ist die Meisterschaft, mit der in diesen
karrikirten Leibern die Anatomie des menschlichen Kör-
pers gegeben ist, höchst bewundernswerth. Doch ist auch
bei diesen, wie überhaupt bei den kleinasiatischen Gro-
tesken, der Unterschied von ähnlichen tanagräischen so-
fort bemerkbar: die überscharfe Betonung der Mvtive,
die an der Grenze, manchmal auch schon jenseits des
kiinstlerischen Maßes sich bewegt. Sehr hübsch ist auch
die kleine Gruppe eines nackten Kindes, das eine Henne
umhalst und vor Liebe so fest an sich drückt, daß es
gar nicht merkt, wie jene dabei erstickt.

Eine ähnliche Ueberraschung, wie mit dcm Andrs'-
schen Hermes, ist uns auch hier bereitet, wenn wir in
den Sälen der ägyptischen Ausstellung der ethno-
graphischen Abtheilung des Trocadero eine der schönsten
kleinasiatischen Terracotten finden, die aus einem Grabe
zu Rosette stammt nnd, deni Materiale nach zu ur-
theilen, cyprischen Ursprungs ist. Es ist ein nackter,
mit dem Oberkörper auf einem Schlauche, mit dem
Unterkörper auf der Erde daneben hingelagerter Satyr,
der von dem Gotte der Winde für einen Momeut
zum Hüter des Elementes eingesetzt ward, das in
jenem verschlossen ist. Allein seine Kraft reicht lange
nicht aus, es zu fesseln. Vergebens müht er sich mit
beiden Armen, deren Muskeln von der Anstrengung
geschwellt sind, die Mündung des Schlauches zu schlie-
ßen. Die Winde sind stärker als er, und so bleibt
ihm nichts anderes übrig, als halb ängstlich, halb be-
friedigt von der Götterrolle, die er schlecht genug
spielt, dem widerspenstigen Elemente, das dem Schlauchc
entströmt, in die Lüfte nachzublicken. Dabei ist ihm
die Pantherhaut schon in weitem Bogen von Schulter
und Rücken weggeweht. Keine Beschreibnng kann von
dem Leben und der vollendeten Ausführung dieses kleinen
Kunstwerkes auch nur die entfernteste Vvrstellung geben,
nicht weniger von der künstlerischen Weisheit, mit
der hier alles Wesentliche in kleinstem Rahmeu zu-
sainmeugedräugt und motivirt erscheint.

Zum Schlusse sei mit Uebergehuug einer Anzaht
unbedeutender Köpfchen der Dorigny'schen Sammlung
noch eine Reihe vvn Büsten angeführt (kleinasiatischer
und cypriotischer Fundvrte), die E. Piot ausstellte, und
die alle, selbst in so gewählter Umgebung, auffallend
seltene Vollendung der Detaillirung zeigeu. Die vor-
 
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