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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1903)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0054

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Er faßte meinen Arm. „Sie kommen zu spät. Jch weiß nicht,
ob ich es Jhnen sagen soll-Die Dame ist —"

„Tot", sagte ich; denn ich wußte es längst.

„Eine plötzliche Herzlähmung —"

„Eine plötzliche Herzlähmung", wiederholte ich dumpf und er-
hob mich.

Er trat mir in den Weg. „Fassen Siss sich, mein Herr. Sie
können sich ja keine Schuld beimessen; es war ein beklagenswerter Zu-
fall. Wie ich höre, haben Sie vor, abzureisen; tun Sie es, ohne zu
zögern. Ersparen Sie sich und andern —"

Jch verstand ihn. „Jch werde reisen", sagte ich und wandte mich,
um zu gehen.

Er zuckte wie ratlos die Achseln und hielt mich nicht länger zurück.
Dranßen im Saal lag eine weiße Rose auf dem Estrich; ich nahm
sie auf, ohne etwas dabei zn denken, aber ich wußte, daß sie von
Marianne war. Dann schritt ich hinaus in die Nacht. Der Mond
war aufgegangen; über Busch und Wiesen schimmerten feine Nebel;
die Gebäude auf dem Kahlen- und Leopoldsberge waren wie taghell
beleuchtet. Jch schritt immer weiter, ohne zu wissen wohin, die Rose
in der Hand. Der Pfad führte mich an Gärten und dichten Wein-
pflanzungen vorüber; nach und nach wurde er steiler, und endlich hatte
ich ein freies Plateau erreicht, das eine weite Fernsicht über einen
Teil des Marchfeldes, über die Auen der Donau und das Häuser-
meer der Stadt eröffnete. Dort hielt ich an, setzte mich unter einen
Baum und blickte, die Brust noch immer leer und stumm, hinaus in
die schweigende Unendlichkeit. Unten zog der glitzernde Strom mit
leisem Rauschen durch die Nacht; von der Stadt her glänzten und
flimmerten unzählige Lichter. Eine Grille zirpte in meiner Nähe;
von Zeit zu Zeit schoß am Himmel eine Sternschnuppe vorüber. Die
Stunden verrannen; ich merkte es nicht. Der Mond ging unter; die
Lichter erloschen allmählich, unö eine fahle, trübe Dämmerung hüllte
alles ein. Plötzlich ward ich durch einen Schrei aufgeschreckt, den ich
selbst ausgestoßen; das volle Bewußtsein des Geschehenen hatte mich
angefallen. Jn wildem Schmerz eilte ich den Abhang hinunter und
der Stadt zu. Eine Stnnde später fuhr ich hinter der bransenden
Lokomotive durch graue Morgennebel ins Land hinein. —

Jch bin zu Ende. Du siehst, das Verhängnis hat uns erreicht.
Wie ich das meine tragen werde, weiß ich nicht. Leb' wohl! Leb'
wohl!

krunäsckau.

Mlgerneinei'es.

G Von der Originalität.

Kein gewissenhafter Schriftsteller
strebt jemals nach Originalität. Hat
einer eine bedeutende Persönlichkeit,
so wird er schon von selber origineller
geraten, als ihm und seinen Lesern
lieb ist. Wo nicht, so gibt es keinen
besseren Weg zu einer gesunden Ori-

ginalität, also zu einer besonderen
Eigenart, als jeweilen seineSache recht
zu machen. Wer nur immer das tut,
also z. B. in Prosa vernünftig und
schlicht schreibt, unterscheidet sich schon
gswaltig von der großen Mehrzahl,
denn es gibt ja nichts Selteneres als
das einfach Richtige. Larl Sxitteler.

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Aunftwart
 
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