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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1903)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0464

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Lose blälter.

Kus I^ei'äers Merlren.

Vorbemerkung. Von den eigentlich literaturhistorischen Wer-
ken über Herder verdient an erster Stelle das große wissenschaftliche
von Haym genannt zu werden (Berlin, Gärtner), als geistvolle Be-
leuchtung seines Wesens ebenso an erster Stelle das von Kühne-
mann, von dem wir in der Rundschau dieses Heftes sprechen. Eine
kleine, frische und gute Herder-Biographie von Richard Bürkner ist
soeben noch in der Sammlung „Geisteshelden" bei Ernst Hosmann u. Co.
in Berlin erschienen (geb. Mk. 3.20). Auch zwei neue gute Ausgaben der
Herderschen Werke hat uns das Nahen des Gedenktages gebracht:
„Herders ausgewählte Werke"in 6 Bänden mit einer Ein-
leitung von Lautenbacher bei Cotta (geb. 6 Mk.), vollkommen genügend
für einen kürzeren Besuch bei unserm Großen, und „Herders
Werke" beim Bibliogr. Jnstitut (geb. Mk. s0.—), eine „kritisch durch-
gesehene und erläuterte Ausgabe" von Theodor Matthias, die schon
für ein längeres Verweilen ausreicht.

Unsre Auswahl ist selbstverstündlich in dem Geiste geschehen, der
aus dem Leitaufsatze dieses unsres Herderheftes spricht. Nicht Herder,
der Dichter, noch Herder, der Uebertrager im engeren Sinn dieser
Wörter kam für uns an erster Stelle in Frage, und Herders Dramen
samt dem Cid ließen wir ganz beiseite. Der Herder, der sich in den folgen-
den Stücken zeigt, ist, so glauben wir, viel kennenswerter — wer
aber von uns gebildeten Deutschen des zwanzigsten Jahrhunderts, wer
von uns, die wir ihm so unsäglich viel verdanken, wer von uns
kennt ihn?

Sonderbarerweise in keiner der neuen Herder-Ausgaben steht das
Gedicht, das wir nach der Gesamtausgabe von (827 als Einleitung
vor die Prosastücke setzen. Wir unserseits sehen darin eines der tiefsten
und merkwürdigsten Gedichte Herders und wir meinen, wer sich von
dem Vergänglichen nicht abstoßen läßt, das Zeitgeist und Zeitstil immer-
hin auch für Herder mit sich brachten, der wird auch hohe poetische
Schönheiten darin finden, wie das an jener Stelle aus innerlichst
gefühlter Anschauung geborene Wort von der „vorsingenden Zauber-
stimme" der Ahnung. Das Gedicht gestaltet aber auch ungemein be-
zeichnend die Herdersche Vorstellung vom Genie. Es hat die folgende
Fußnote: „Der Verfasser glaubt aus langen innigen Bemerkungen
seiner Seele, daß aus der Summe der vergangenen Lebenserfahrungen
im Grunde des Gemüts gewisse Resultate, Axiome des Lebens liegen
bleiben, die in schnellen oder ganz ungewissen Verlegenheiten, wo die
kalte Vernunft nicht oder falsche Ratgeberin ist, wie Blitze auffahren
und dem, der ihnen treu folgt, sehr fichere Fackeln sein können, wo
sonst alles dunkel wäre. Er glaubt ferner, daß diese bei gewissen
Menschen sehr hoch erhöht werden können, und sehr oft zu sichern
Weissagern, Traumgöttern, Orakeln, Ahnungsschwestern erhöht worden
sind, und daß fast kein großer Mann da ohne sie gewesen oder zum
Ziel gelangt sei." Man bedenke, diese Bemerkung, welche die Dichtuno
erst recht verständlich macht, ist bald nach (76? geschrieben, in welchen
Jahre die Ode während der Meerfahrt entstand!

2. Dezemberheft 1903

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