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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1903)
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Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwarts für 1904, [5]: Naturwissenschaften
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0303

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Fries schreitender Tiere. Aus Borrmann, Moderne Keramik.
(Leipzig, Seemann Nachf.)

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Hier tun's Bücher allein, nne bei der Kunst, am wenigsten; selber sehen,
selber finden, weiterleben, das ist's, was not tut, was uns erst wirklich vor-
wärts bringt. Schließlich aber kann man eben nicht alles durch eigene Er-
sahrung haben, und um gewisse Beobachtungen allein deuten zu können, müßte
man ein Newton, ein Goethe, ein Darwin sein. Darum müssen wir uns schon
sremder Führung anvertrauen und andre sür uns sehen lassen. Und da sinden
wir sooiel berufene und leider auch unberufene Führer, daß uns die Wahl
nicht leicht wird. Außerdem ist das Gebiet der Naturwissenschaften so groß,
daß man es künstlich begrenzen muß; wir werden einige Werke nennen
müssen, die auch andere Wissenschaften für sich in Anspruch nehmen.

Anders als Dante wollen wir unsern Weg mit dem Himmel anfangen
und wie billig, zunächst von seinen Bewohnern reden. Wir wissen, daß G.
Th- Fechner die Himmelskörper und auch unsere liebe Erde als Organismen
höherer Ordnung, als Engel auffaßt. Wer sich üarüber unterrichten und einen
unserer tiefsten Philosophen kennen lernen will, nehme sein Buch „Zendavesta
oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits" zur Hand. Es ist erst jetzt,
sünfzig Jahre nach seinem ersten Erscheinen, endlich in zweiter Auflage heraus-
gegeben worden, wosür ihm eine um so längere Wirksamkeit beschieden sein
wird. Leichter und sicherer führt aber in die Gedankenwelt dieses echt natur-
ivissenschaftlichen Denkers sein Buch ein: „Die Tagesansicht gegenüber der
Nachtansicht". Von den andern Schriften Fechners müssen wir wenigstens
noch „Nanna oder das Seelenleben der Pslanzen" nennen. Hier ist auch der
Ort, den Leser auf die gewichtigen Werke Wundts hinzuweisen, zunächst auf
seine „Essays" und seine „Vorlesungen über Menschen- und Tierseele". Und
da wir nun schon einmal in die Philosophie hineingeraten sind, wollen wir
denjenigen, die die beste Geschichte und Kritik aller naturphilosophischen Systeme
kennen lernen möchten, Langes „Geschichte des Materialismus" empfehlen.

Von Werken, die uns ein Bild des ganzen Universums geben wollen,
ist Humboldts „Kosmos" noch durch kein gleichwertiges ersetzt. Wenn auch
im einzelnen von der Forschung überholt, sind die beiden ersten Bände immer
noch durch die Kunst der Darstellung, die ruhige Klarheit der Sprache zu den
klassischen Büchern zu zählen, die man eben kennen muß. Für den Anfänger
ist der Kosmos allerdings nichts, da man schon kritisch gerüstet sein muß, um
ihn mit wirklichem Nutzen zu lesen. Besser daran ist man mit den „Ansichten
der Natur", einer Reihe auf das kunstvollste ausgeführter Naturgemälde, und mit
der „Reise in die Aeguinoktialgegenden", die ursprünglich sranzösisch geschrieben,
die beste deutsche^naturwissenschaftliche Reisebeschreibung ist, der von auslän-
dischen vielleicht nur Darwins „Reise" an die Seite gestellt werden kann. Von
den naturwissenschaftlichen Reisewerken der letzten Zeit ist Karl Chuns „Aus
den Tiefen des Weltmeeres" das schönste und bedeutendste. Da wir eben
Darwin erwähnt haben, so sei auch gleich auf seine unten angeführten wich-
tigsten Werke hingewiesen, die nun schon zum Gemeingut eines naturwissen-
schaftlich Gebildeten gehören, auch wenn man nicht „Darwinianer" ist- Not-
wendig ist für diejenigen, die den Debatten des Tages nicht aus dem Wege
gehen wollen, das Studium der „natürlichen Schöpfungsgeschichte" Häckels,
seines reifsten, einflußreichsten und mit Recht berühmtesten Werkcs. Jn ganz
vortrefflicher Form hat der kürzlich verstorbene Carus Sterne (vr. Ernst

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