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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

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Heft 10 (2. Februarheft 1904)
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Avenarius, Ferdinand: Sehen und Schauen
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Gregori, Ferdinand: Zur Psychologie des Theaterpublikums, [2]: Beobachtungen eines Schauspielers
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0694

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einander und wieder vom Vorbilde in der Wirklichkeit unabhängig
sein. Kurz: überall zeigen sie alle jene Eigenschaften, sür die wir bei
der Kunst des Augenscheins Beispiele anführten. Wo die Tonkunst
Naturlaute nachahmt, wer weiß nicht, wie oft dann eine eingehend
täuschende Jmitation, die von bester Beobachtung und bestem Können
zeigt, uns doch als Spielerei, als Virtuosenkunststück erscheint, während
eine viel weniger „genaue" Hereinziehung von Naturlauten uns weit
mehr mit dem Gesühle von Vogelsang und Waldesrauschen oder von
Gewitterdonner ersüllt. Dort war eben nur Hören, wie bei den ent-
sprechenden Beispielen aus dem Augenreiche nur Sehen war, hier
war Schauen. Schauen auch beim Hören, gewiß, denn die Aesthetiker
sind ja längst gewöhnt, von einem Schauen bei allen Sinnen zu
sprechen. Wir sinden das Wort vom „weithin rollenden Donner" an-
schaulich, wenngleich es hier gar nichts zu sehen gibt. Und alle die
Wörter, die Gerüusche nachahmen, sind ihrer „Anschaulichkeit" wegen,
sind eben der Möglichkeit wegen, sich „schauen" zu lassen, so vorzüg-
lich geeignet, als Trüger von Stimmungen zu dienen.

Aber nun sind wir schon im Gebiete der Poesie. Ergeben sich
von dem Standpunkt unsrer kleinen Betrachtung aus auch Ausblicke
auf literarische Erscheinungen und aus das Wesen der sogenannten
Phantasiekunst? Vielleicht darf ich davon ein ander Mal sprechen.

A.

Vs^ckologis äes ^keaterpublikurns.

(Schluß.)

Die Dreiteilung der Handlung ist dem Publikum die liebste;
und dazu drei verschiedene Schauplätze, die das Auge erquicken. Beim
Aufgehen des Vorhangs will es nicht gleich in wichtige Gespräche
gezogen werden, sondern sich selbst erst bequem hinsetzen, das
Opernglas noch einmal Putzen, den Theaterzettel überfliegen (bei
der Dunkelheit ist das schwierig) und die Dekoration, die Toi-
lette der Darstellerin betrachten. Währenddessen ist es ein paar
schurkischen Dienern auf der Bühne nicht verwehrt, sich über ihre
Herrschaft auszulassen, die heute von ihrer großen, jahrelangen
Reise zurückkehren soll. Es trägt sich Schreckliches im Hause zu,
das vielleicht schon in der nächsten Stunde zum Klappen kommen
wird. Ein paar komische Figuren werden zur Ablenkung eingeführt,
die dem Publikum Witze erzählen; dann trifft ein Telegramm ein,
das die Ankunft des Ehepaares wieder in Frage stellt: schon freuen
sich die Schuldigen, der Strafe noch auf eine Weile entzogen zu sein,
ja, sie machen fogar Miene zu entfliehen, unter Mitnahme wert-
voller Gegenstände — da treten unangemeldet die Weltreisenden ins
Zimmer: Konfrontation, Tableau — Vorhang! Jm zweiten Akte er-
fahren wir von den Verbrechern, daß sie doch entflohen seien, hier
im Walde werde sie aber niemand finden. Große Auseinandersetzung
mit einem zufällig durch die Einsamkeit pilgernden weisen Manne,
die zur Folge hat, daß sich der eine reuig der betrogenen Herrschast
stellen wird. Er hofft dabei auf die Fürsprache des Stubenmädchens,
das ihn liebt, und das er nun auch lieben wird. Der andre bleibt

2. Februarheft 1904

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