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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

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Heft 7 (1. Januarheft 1904)
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Anthes, Otto: Nach dem zweiten Kunsterziehungstage
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Batka, Richard: Urmusik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0530

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Dichters lebhast zu antworten. Was wir fürchten, ist nicht etwa, daß
der Lehrer zu wenig leisten wird; was wir fürchten, ist vielmehr, daß
es ihm zu wenig sein wird, was er leisten soll. Der Lehrer hat eine
merkwärdige Angst, er könne überflüssig werden, wenn man ihm eine
orthographische Regel nimmt. Und wenn es nun heißt: du sollst keinen
„Grundgedanken" mehr herausstellen, du sollst keine literargeschicht-
liche Einleitung machen, du sollst die „Quellen" des Dichters zum
Kuckuck laufen lassen — dann, das fürchte ich, wird er sagen: dann
brancht man mich ja überhaupt nicht mehr.

Man braucht ihn aber sehr nötig, gerade zu dem scheinbar
Einfachen und Leichten brancht man ihn. Wenn er diese Arbeit nicht
leistet, dann ist es mit der Erziehung des Volkes zur Genußfähigkeit
an dichterischen Werken sür lange Zeit nichts. Gewiß, es gibt gute
und schlechte Lehrer, und bei manchem wird manches von dem Gedicht
verloren gehen. Aber das ist das Schlimmste nicht. Schon wenn der
Dichter das Gedicht aus seinem Jnnern herausreißt und gestaltet, geht
etwas verloren; und wenn es der seinfühlige Leser liest, geht wieder
etwas verloren. Wenn das Gedicht gut ist, bleibt aber immer noch
sehr viel übrig. Und es ist nie etwas verdorben, wenn das, was übrig
bleibt, nur wirklich Gedicht ist und nicht „Grundgedanke" oder sonst
etwas, wäs mit der Kunst nichts zu tun hat. Gtto Anthes.

Nrrnu8ik.

Es liegt in der Faustnatur des deutschen Gelehrten begründet,
Laß er gerne zu den „Müttern" hinabsteigen, zu den letzten Ursachen
der Dinge vordringen und ihre Entwickelung von den Änfängen her
verfolgen möchte. Die einsachen Urzustände der menschlichen Kultur
reizen unsre Forscher mehr als die Mannigsaltigkeit der neueren Zeiten.
Dort ist der von wenigen Anhaltpunkten sortspinnenden Phantasie
eine lockende Ausgabe gestellt. Hier gilt es bloß, die überreiche Fülle
des Stofses zu gliedern, das Kennzeichnende hervorzuheben, das Un-
wesentliche verschwinden zu lassen. Dort wird mehr ermittelt oder
wenn man will erfunden, hier mehr gestaltet und dargestellt. Wir
sehen beide Elemente künstlerischen Schafsens auch in der wissenschast-
lichen Geschichtschreibung am Werk, aber gleichsam mit gebundenen
Flügeln. Wir vom Kunstwart aber, die wir uusre Arbeit dem Kunst-
leben der Gegenwart selber widmen, dürfen doch ausnahmswcise ein-
mal auch in jene Gründe der Betrachtung steigen, denn wenn sich die
Dunkel um das Einst lichten, wird das Heute uns da und dort noch
heller werden.

Zu den lehrreichsten Büchern, die uns in die Urverhältnisse der
Menschheit zurücksühren, zähle ich Nichard Wallascheks „Anfänge der
Tonkunst".* Der Verfasser geht von den Zuständen bei den Natur-
völkern aus, verarbeitet eine gewaltige volkskundliche und Neiselitera-
tur und kommt zu Ergebnissen, die unsere bisherigen Anschauungen
vom Ursprung der Musik in wichtigen Punkten geradezu umstürzen,
aber sich vielfach mit den im Kunstwart vertretenen Gedanken über

* Leipzig, Joh. Ambrosius Barth. Mk. 9.—.

Ianuarheft tyoq
 
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