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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1903)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Der Rekord im Veräußerlichen
DOI Artikel:
Bielschowsky, A.: Goethes Lyrik, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0141

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wozu auch andres besser taugen würde. Sondern uns Ueberlebenden
Zur Freude darüber, daß nun wieder ein Großer nach seinem Tode
an dem weiter arbeiten kann, was er als Erdenpilger begann. A.

Goelkes I^yrik.

(Schluß.)

Minder aussällig ist die Jnnigkeit, die wir an den erzählenden
Gedichten gewahr werden. Der Dichter, wenn er sich über den ge-
meinen Bänkelsänger erhebt, kann sich des Anteils an den dargestellten
Begebenheiten nicht entschlagen, und dieser Anteil muß hervortreten.
Die meisten Dichter sind denn auch bestrebt, ihre eigene Mitbewegung
ausdrücklich hervorzukehren. Und trotzdem, wie wenige teilen uns das
Gefühl der Wärme mit, das Goethes Balladen ausströmen! Wo ist
die Ballade, die sich mit der Braut von Korinth oder dem Gott und
der Bajadere auch nur in ihrer Jnnigkeit vergleichen ließe!

Aber freilich, wer hatte seine Wärme und wer konnte sie so
zum Ausdruck bringen? Jhm waren seine Stofse nicht bloß Fabeln,
die sich wirksam in Strophen vortragen ließen; sie waren ihm Gesäße,
in denen er herzbewegende Erlebnisse barg.

So sind das „Heidenröslein" und „der untreue Knabe" — beide
Gedichte sind Volksliedern nachgebildet, die er im Elsaß für Herder
gesammelt — treue Spiegelbilder seines Empfindens bei der Trennung
von Friederike, „der Fischer" ((778) ist Reflex einer echt Wertherischen
und gewiß mehr als einmal empfundenen Sehnsucht, im kühlen, den
Himmel spiegelnden Wasser aus der irdischen Todesglut zu wahrem
Leben sich zu retten. „Gefunden" (26. August (8(3) kleidet die erste
Begegnung mit Christiane in ein unschuldig trauliches Gleichnis;
„Alexis und Dora" ((7^6) gibt uns einen wundersamen Nachhall der
zarten Wechselneigung zwischen ihm und der schönen Mailänderin, die,
wie im Gedichte, erst im Augenblicke der Trennung sich offenbarte.
„Der Sänger" ((783) an des Königs Hofe leiht des schaffenden Dichters
eigenstem Empfinden und Erfahren die typische Form.

Der persönlich erlebte Hintergrund der „Braut von Korinth"
ist ein doppelter: der engere ruht aus dem Gegensatz zwischen dem
Dichter und den frommen Kreisen „an der Ostsee"; den Stolberg in
Eutin, dem Reimarusschen Teezirkel in Hamburg mit ihrem Anhang,
zu dem Fritz Jakobi und Schlosser, also nächste Freunde und Ver-
wandte des Dichters zählten. Von ihnen war Goethe nicht lange
vor Entstehung des Gedichtes als Heide bezeichnet, und in Eutin war
überdies sein Wilhelm Meister als unsittlich verbrannt worden. Außer-
dem hatte er die Folgen des Jrrglaubens, der von Jndividuum zu
Jndividuum geht, des eingeschränktesten und verheerendsten Wahns
in den letztverslossenen Jahren schwer empfunden. Eine salsche Vor-
stellung von ihm war bei Herders und Frau v. Stein aufgekeimt,
und tausendsach geübte „Lieb und Treu wurde wie ein böses Unkraut
ausgeraust".

Der allgemeine Glaubensgegensatz zu den ihn befehdenden
„Christen" zeitigt eine zweite Frucht in der ersten „Walpurgisnacht";

N2

Runstwart
 
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