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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1903)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0487

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jedermann vollendet sich die Seele
selber. Das lehrt uns keiner besser
als Kühnemann, er hat es aber in
Liesem Buche selber wohl noch nicht
so erreicht wie in späteren Schriften.
Doch liegt es in der Natur der Sache,
daß hier bei der Biographie all sein
Sinnen auf den Einen großen Ge-
danken gerichtet war, in allem
Schasfen des Genius eignes persön-
liches Leben und Leiden, seine Seele
und ihr Schicksal aufzuweisen und uns
ihm Auge in Auge zum eignen Erleben
gegenüberzustellen, sodaß wir an ihm
um das eigne Leben ringen lernen.
Und das sichert dem Buche eine blei-
benüe Bedeutung für das Leben selber.

lsans v. Lüxke.

O Hebbels Tagebücher sind
nun auch unverkürzt und billig zu
haben. Zu der großen teuren Aus-
gabe in zwei Bänden, die Felix Bam-
berg besorgt hat, zu der kleinen Aus-
wahl, die in der Hendelschen Bibliothek
zu haben ist, kommt nun im Anschluß
an die Gesamtausgabe der Werke und
nachgelassenen Briefe Hebbels bei B.
Behrs Berlag, Berlin, der erste, ge-
treue, d. h. vollständige Abdruck der
Tagebücher heraus. (4 Bde. 12 Mk.,
geb. t6 Mk.) Denn Bamberg, so
äußert der neue Herausgeber R. M.
Werner im Vorwort, „besaß viel-
leicht nicht den Mut, die Tagebücher
so zu verössentlichen, wie sie Hebbel
geschrieben hatte, vielleicht auch stand
er dieser einzigen Erscheinung gegen-
über auf dem Standpunkt einerfrüheren
Zeit: er wurde zu ihrem Kritiker, der
sich das Recht vorbehielt, eine Aus-
wahl zu tressen." Wir freuen uns vor
allem, daß der Preis die Verbreitung
nicht mehr so wiefrüherbehindern rvird.

O „Pastor Klinghammer." Ro-
manvon Wilhelm Hegeler. (Berlin,
Egon Fleischel L Co., S., 6 Mk.)

Es ist vor allem der Mensch, dann
erst der Geistliche, der Hegeler im
„Pastor Klinghammer" beschäftigt. Der
Titel des Romans, der den Pastor so

stark betont, ist also nicht sehr glück-
lich. Die Konflikte und Kämpfe dieses
Lebens fließen aus der Zndioidualität
des Menschen, die das Amt nur ver-
schärft, Pastorenkonflikte sind es nur
recht nebenbei. Es handelt sich im
Grunde um eine Wiederholung der
uralten Geschichte von Kain und Abel.
Der Pastor Daniel Klinghammer wird
zum Brudermörder. Sein Bruder Fritz,
der Leutnant a. D., gilt als Abel. Nicht
weil er, wie es in der Bibel heißt, Gott
besonders angenehm ist, sondern weil
dieser hübsche, im Kern saule Trieb-
mensch allen Menschen wohlgefällt, die
den Bruder Pastor mit der rauhen, un-
öeholfenenAußenseitenicht mögen. Die
Bibel motiviert den Brudermord sehr
einfach mit dem Neide Kains. Das
genügt ihr vollkommen, wie denn die
alten Legenden komplizierte Begründ-
ungen, psychologische Kleinarbeit über-
haupt nicht lieben — sie handeln un-
bewußt nach dem alten ewigen ästhe-
tischen Gesetz, daß eine Darstellung
poetisch um so wertvoller ist, je schlichter
und einfacher, gradliniger in ihren Mo-
tiven sie gehalten wird. Die Dichter
von Beruf, sieht man von den wenigen
ganz großen ab, handeln bewußt, han-
deln absichtlich umgekehrt. Selbst Br>-
ron verfuhr bei seinem „Kain" nicht
anders. Außerdem legt man seit den
Zeiten der Ausklärung Wert darauf,
Gestalten wie den biblischen Kain zu
„retten." Dazu braucht man natürlich
eine Häufung der Motive — ohne das
gelingtes einfach nicht, einen Tots chläger
zu retten. Dies gleiche Unglück wie Kain
widerfährt bekanntlich auch Judas Js-
chariot in der Dichtung immer wieder.
Man muß sich dessen erinnern, um gegen
Hegeler nicht ungerecht zu sein, denn er
tut mit seiner Häufung der Motive
nichls anderes, als was seine meisten
Vorgänger in Apoll bei dieser Gestalt
auch taten. Erschwert er sich seinen
Totschläger dadurch, daß er ihn zu-
gleich Pastor sein läßt, so reißt er
dem Problem doch wieder selbst ein

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