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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

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Heft 3 (1. Novemberheft 1903)
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Kalkschmidt, Eugen: Vom künstlerischen Lichtbilde, [2]: das Bildnis
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0165

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öehandelt, ein jeder hat eigene Blickrichtung, die Blicklinien kreuzen
einander bald nah, bald fern, und doch sühren sie den Beschauev
nicht aus dem Bilde hinaus, sondern in das Bild hinein. Endlich das
Licht — hier lebt es, Prallt energisch auf und versinkt wohlig im
Hintergrunde. Dort, auf der Familiengruppe, kommt es sanst von oben
herab und zeichnet das Teppichmuster höchst akkurat, die Menschen
aber wenn schon nicht grade falsch, so doch langweilig und nüchtern.

Eine Niedlichkeit zum heiteren Beschluß. Sind sie nicht nett,
die sechs Fräuleins auf ihrer papiernen Mondsichel? (Abb. 23.) Ja,
da kann man sehen, ein tüchtiger Photograph, der seine Kunst liebt
und versteht, schreckt auch vor den Gesahren des Weltalls nicht zurück.
Den Mond selbst holt er sich herunter und setzt seine Kunden so wohl-
gesällig draus, wie Vater Lehmann im zoologischen Garten seine Klei-
nen auss hohe Wüstenschisf. Lache nicht zn laut, o Leser! Es ist
photographische „Phantasiekunst", die also blühet, und leider nicht so
ganz im Verborgenen wie im Namen des nüchternen Menschenverstandes
zu wünschen wäre. Ein klassisches Beispiel aber sür diese gefügige
Phantasie bietet Abb.2H — da hat die Perücke der alten Frau an un-
natürlichem Wachstum unter der Hand des fleißigen Netuschenrs so
zugenommen, daß nun der dem Beschauer zugewandte Schlas, erst
verdorret, jetzt diskret bewaldet worden ist. Und wie wohlwollend sie
lächelt, die Frau, da sie doch erst unverkennbar grimmig dreinschaute.
Das macht: wir haben links einen sogenannten „Rohdruck", während
rechts laut ösfentlicher Angabe „Kinnpartie und Haar bei den Schläfen
der alten Dame korrigiert" sind. Ach, könnten wir doch auch unsere
durch schnöden Spott schon ganz verderbten Gemüter also korrigieren!

Lugen Ualkschmidt.

blattLr.

Uc.8 8elrna flagerlofs „^serusalern".

Vorbemerkung. Wir haben vor kurzem an dieser Stelle
etwas aus Björnsons Bauernnovellen abgedruckt, nnd erst im vorigen
Heste wieder hat Weber gelegentlich eines Theaterberichts aus diese
Werke des jungen Björnson hingewiesen, die von denen des altern-
den im Bewußtsein der Literaturfreunde zu weit zurückgedrängt worden
sind. Vielleicht erleben wir's noch, daß auch in der nordischen Literatur-
bewegung ein Rückschlag eintritt, der die eigentümliche Größe jener
Schöpfungen im Bewußtsein der Zeitgenossen über mancherlei empor-
hebt, was heute als moderner auch modischer ist. Möge denn der
Rückschlag keine „Reaktion" werden, es ist eben doch auch mit dieser
Entwicklung nicht etwa nur Gutes preisgegeben, sondern anch Wert-
volles zugewonnen worden. Uns Deutschen erscheint unter den „neuen
Skandinaviern" die Schwedin Selma Lagerlöf als eine der hervor-
ragendsten Gestalten, und insbesondere ihr Werk „Jerusalem" ver-
dient auch die Teilnahme der Deutschen ganz gewiß. Wir möchten
nach den Proben aus Björnson mit den heutigen aus dem „Jerusalem"
zu einem ersten Vergleiche von neuerer und älterer nordischer Er-
zählkunst einladen. Unserer Meinung nach wär' es so übel nicht,

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