Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1903)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0179

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
führen. „Warum schreibe ich diesen?" Und in demselben Augenblick
bewegt sich seine Hand wie von selber und macht dicke Striche die
kreuz und quer auf dem verhaßten Papier.

„Ja, dies tue ich, weil ich ein alter Mann bin, der die Erde
bebauen muß, der da, wo er immer geschasst und gearbeitet hat,
auch ferner pslügen und säen muß."

Hök Matts Eriksson sieht sehr verlegen aus, als er sich zu dem
Fabrikinspektor wendet und ihm das Papier zeigt.

„Der Herr Jnspektor muß entschuldigen, es ist zwar meine Ab-
sicht gewesen, mich meines Eigentums zu entledigen, aber ich konnte
es nicht."

Kunäsckau.

G Vom Lehrgedicht.

Das Lehrgedicht spielt, wie man
weiß, in der Weltliteratur eine ganz
bedeutende Rolle, und zwar, wohl zu
beachten, bei den poesiebegabtesten
Völkern in ihrer allerbesten Zeit. Hie-
sür sind die Beispiele so rnassenhaft
oorhanden und jedem gegenwärtig,
datz ich aus deren Nennung verzichten
kann. Bei uns steht das Lehrgedicht
in Fluch und Bann, mehr noch: es
herrscht eine Art abergläubischer Furcht
davor, etwa so, als ob man besorgte,
das Lehrgedicht möchte die übrige
Poesie infizieren, gleichsam mit einem
linearförmigeN,ledernen Prosabazillus.
Nun, das Beispiel der Griechen (denken
wir an Hesiod) zeigt, daß die An-
steckungsgefahr nicht bedenklich ist.

Wie aber sollen wir uns den Reiz
erklären, den das Lehrgedicht aus-
nahmsweise auch auf einen wirklichen
Dichter auszuüben vermag? Anwesen-
heitsgefühl überschüssiger Sprach- und
Formvirtuositätbei augenblicklicher Ab-
wesenheit der Jnspiration. Also der
nämliche Reiz, der Goethe zur Versi-
fikation des Reinecke Fuchs antrieb.
Jn einer anderen Atmosphäre aufge-
wachsen, würde Goethe seine Farben-
lehre zum Lehrgedicht erhoben haben,
wie das der in französischer Atmo-
sphäre aufgewachsene Haller mit seinen
„Alpen" getan hat. Nach meiner Ansicht
würde Goethes Farbenlehre durch den
Vers gewonnen haben. LarlSxitteler.

K Jn „Briefen, die ihn nicht
erreichten", schildert eine gebildete
Frau dem fernen Freunde, dem sie in
Peking nahe getreten ist, ihre Reise-
erlebnisse in Amerika und Europa kurz
vor Ausbruch der jüngsten chinesischen
Wirren. Doch geben diese Erlebnisse
nur einen lockeren Rahmen ab für die
wechselnden Stimmungen der Brief-
schreiberin, die üem Freunde in wach-
sender Sehnsucht nach und nach ihr
Herz entdeckt. Da ihr Gatte in-
zwischen geftorben ist, steht ihrer Ver-
einigung mit dem Geliebten nichts im
Wege, doch ehe der eine ihrer Zeilen
empfängt, fällt er im Kampse gegen
die Chinesen; freiwillig folgt sie ihm
ins Grab. Das Buch (bei Gebr.
Paetel, Berlin, s Mk.) ist, wie gesagt,
von einer gebildeten, schriftftellerisch
nicht unbegabten Frau geschrieben, die
mir reichlich melancholischen Augen
vom Salon heraus die Welt betrachtet
und gern auch nach bekannter deutscher
Art sentimental wird. Ein ursprüng-
liches dichterisches Vermögen ofsenbart
sie hier nicht; ihr Verhältnis zur Natur
erscheint mir trotz aller Zartheit
konventionell. Jn den allgemeinsten
Umrissen und Farben treten ein paar
erlesene internationale Menschen auf,
denen die Verfasserin mit müder Teil-
nahme begegnet, und was ihre Aus-
lassungen über China anlangt, so kann
ich in ihnen sehr wohl eine ge-
schmackooll oorgetragene Kenntnis,

',49

t. Novemberheft 4905
 
Annotationen