Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1903)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0480

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Krmäscdall

G „Herders Leben" von
Eugen Kühnemann.*

Dieses Buch ist bedeutsam vor allem
durch eine durchaus eigene Auffassung
der Biographie. Sie geht davon aus,
daß mit Rudols Hayms imposantem
Werke die bisherige Forschung über
alle Lebensereignisse und Lebensbe-
ziehungen in Herders Leben einen Ab-
schluß erreichthat,zudemkaumnoch viel
Neues beizubringen sein rvird, versucht
aber nun dies gesamte Leben in Einer
großen Gesamtanschauung aus seiner
Seele heraus in all seinen Gedanken
und Taten, in seinem Erblühen, Er-
leben und Absterben als eine große Not-
wendigkeit innerlich zu verstehen, see-
lisch zureproduzieren,um es so ins eigns
Leben der Gegenrvart fruchtbar über zu
führen. So wird sie innerlich notwendig
durch die Arbeit an diesem einen genia-
len Leben zu einem Ringen um das Be-
greifen des Lebens, des Genius über-
haupt in all seinen Gesetzen und stellt
das Problem des Lebens als das
größte und letzte, als ein einzigartiges
Problem neben all die Probleme, die
durch die einzelnen Gedanken und
Werke dieses Lebens in Kunst und
Wissenschaft aufgeworfen werden, ist

* „Herders Leben" von Eugen Kühne-
mann (München t»95, C. H. Beck), von
demselben Versasfer: „Herders Per-
sönlichkeit in seiner Weltanschauung"
(Berlin t8IZ, Ferd. Dümmler) und
zum Teil Herders Werke in der Kürsch-
nerschen „Deutschen Nationalliteratur".
Das Buch ist, trotzdem es schon bald
vor einem Jahrzehnt erschien, so gut
wie unbeachtet geblieben, es fehlt
leider auch in unferm „Literarischen
Ratgeber". Nachdem wir's fetzt durch
Bartels kennen gelernt, wußten wir
auch, wen wir sür unser Herderhest
um den Festaufsatz zu bitten hatten
— dis Leser mögen beurteilen, wie
der erste Rcktor der neuen Posener
Akademie in diesem selben Hefte zu
ihnen spricht. Da er noch keiner unsrer
ständigen Mitarbeiter ist, konnten wir
diesmal glücklicherweise über sein Werk
mehr als eine Selbstanzeige bringen.

also in erster Linie ein philosophisches
Buch.

„Was sie (die Genies) an köstlichen
und vielleicht ewigen Werken hinstellen,
ist noch das wenigste, wodurch wir
von ihnen lernen sollen. Aber wenn
wir begreifen, für welche Aufgaben sre
sich eingesetzt, wenn wir verstehen, wie
sie kämpften und litten, weil sie nur
Eins sein wollten, nicht leben konnten,
wenn sie das Eine nicht waren, das
Eine, das mit ihnen geboren ist, dann
werden wir der Unwürdigkeit und
Kleinheit unsres Lebens inne, und es
kommt von ihnen auf uns ein Hauch
der Kraft zu leben, wie des Menschen
würdig ist und wie er allein zum
Menschen wird."

Jn wie hohem Maße Kühnemanns
Buch sozusagen „wie für uns geschrie-
ben ist", das mögen noch ein paar
andere Stellen beweisen.

„Soll ich aufrichtig sagen, in wessen
Händen ich mein Buch am liebsten
fände? Jn den Händen derer, denen
es nach ihrer ganzen Anlage am
ernstesten um das Leben ift, in den
Händen der jungen Künstler. Die
andern wollen etwas im Leben er-
reichen, bleiben meist befangen im
Bereich der Güter, die eigentlich nur
Mittel zum Leben sind, einschließlich
der gesellschaftlichen Ehren. Der Künst-
ler will allein die Dinge sehen, wis sie
wirklich sind, und Werke schafsen, die
das Leben selber sind. Jch arbeite für
sie oder doch mit ihnen, wenn ich den
Genius in seinem Leiden ihnen als
ein Stück Leben, recht wirkliches und
echtes Leben schildere.... Nie waren
sie, die Künstler, zerstreuter als heut.
Der Ueberblick des Lebens ist heute so
schwer. Jeder hat nur seinen kleinen
Kreis und folglich auch nur eine enge
Auswahl von Zuhörern. Das Jdeal
der Kunst aber bleibt doch stets, in
ihrem Banne das ganze Volk zu einen."

Wir alle brauchen diese Kunst, weil

410

Runstwart
 
Annotationen