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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1904)
DOI Artikel:
Gregori, Ferdinand: Zur Psychologie des Theaterpublikums, [1]: Beobachtungen eines Schauspielers
DOI Artikel:
Göhler, Georg: Felix Draeseke, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0638

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res Jahrhundert beim Namen zu nennen, so muß er die mangelhasten
Geschichtskenntnisse der Masse berücksichtigen. Er darf alte, durch die
Schule geheiligte Legenden nicht über den Haufen rennen zum Besten
der Wahrheit. Wenn er sür ein Renaissancestück Benvenuto Cellini,Pastor,
Burckhardt, Gregorovius, Grimm und Gobineau durcharbeitete, so sügte
er sich selbst den größten pekuniären Schaden zu. Da hat Schönthan eine
„Renaissance" in Reime gebracht, die von kulturhistorischer Unberührt-
heit strahlt. Daher denn auch der nnausbleibliche Erfolg, der sich
zusammensetzt aus einer Hosenrolle (und zwar Trikothose), einer Maler-
liebe, lockeren Muttertränen, einem lüsternen Pedanten, einem sidelen
Pater und geschlechtlichen Aufdringlichkeiten, die aus der Bühne einmal
sogar einen perversen Beigeschmack haben, wenn nämlich die Schau-
spielerin, der Pseudoknabe, einer andern begehrlich auf den Leib rückt.
Und dazu bunte Gemälde und Teppiche, ein hoher, prächtiger Saal,
brokatene Kostüme und am Schlusse einige Brautpaare. — Ja, und
lernt man aus der nngleich feineren Arbeit des irrenden Maeterlinck,
die ihren Siegeszug durch die bretterne Welt gehalten hat, lernt man
aus ihr jene hohe gnadenvolle Zeit kennen, in der Michelangelo seinen
Tavid schuf? Wie umstündlich ist dieser Condottiere, wenn er sich ein
Weib sür die Nacht verschaffen will, und wie jümmerlich winselt er
vor Giovanna, da sie sich ihm anbietet! Gerade aber auf dem Reize,
daß der dünne Mantel jeden Augenblick von dem nackten Frauenkörper
abgleiten könnte, beruht die kribbelnde Spannung des Stückes, die
durch den zweifelhasten Heroismus einer Frau erhöht und zum Er-
folge wird durch die feste Zuversicht der Zuhörer: der Dichter werde
es nicht zum Aergsten, nicht zur Unschicklichkeit kommen lassen.

Ferdinand Greqori.

(Schluß folgt.)

feliL OrLeselre. 4.

Wir kommen zu Draesekes Orchester- und Chorwerken. Durch die Be-
trachtung der Werke kleinerer Form haben wir zwar die Gewißheit gewonnen,
daß der Komponist zu denen gehört, die das Schwerste können und das Ernsteste
wollen. Aber das genügt nicht. Schon mancher, der in kleinen Formen Meister
war, versagte, wenn er sich an die höchsten Probleme wagte. Draeseke etwa
auch? Gewagt hat er alles. Sehen wir zu, was ihm geglückt Lst.

Das Ausschlaggebende wird der Umfang und die Bedeutung der Jdeen
sein, die er seinen großen Werken zugrunde legt, die Spannungsweite seiner
Gefühle, die Fähigkeit, persönlich Erlebtes so zu steigern und zu vertiefen, daß
daraus Allgemein-Menschliches wird.

Das früheste der bekannt gewordenen größeren Werke Draesekes ist sein
vp. (2, seine Erste Symphonie (Leipzig, C. F. Kahnt Nachfolger).

Man darf nicht vergessen, daß von Draeseke manches nicht gedruckt ist.
Eine erschöpfende Biographie wird nuch der Versuche gedenken müssen, die einst
einen Hans von Bülow zum eifrigsten Kämpfsr für Draeseke machten. Da-
mals galt Draeseke für den Radikalsten auf der musikalischen Linken. Die erste
Symphonie zeigt davon nichts. Sie entstammt ruhigeren Tagen und gebärdet
sich durchaus nicht neu-deutsch-ungeheuerlich-radikal. Aber sie ist auch nicht
agrarisch-konservativ. Draeseke suchte und fand sofort den Weg ins Zentrum.
zu Beethoven.

52^

Runstwart
 
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