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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

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Heft 4 (2. Novemberheft 1903)
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Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwarts für 1904, [1]
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Literarischer Ratgeber des Kunstwarts für 1904, [2]: Literatur
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0218

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Auch dieses Jahr geben wir ohne weiteres zu, daß unser Rat-
geber mit den fertigen Urteilen im Munde und den langen Listen
unterm Arm stark schulmeisterlich daherkommt. Aber über das Schul-
mcistern haben wir ja leider überhaupt Ansichten, die kein an wahr-
haft modernem Feuilleton getrünkter Geist billigen kann, und das
apodiktisch Ab- und Zusprechende ist einsach eine Folge der not-
gedrungenen Kürze. Was die Listen* anbelangt, so wiederholen wir:
das ist Leben, das im Samen schläft. A.

I^ileratur.

Aeltere demsche Literaeur.

Wir sprechen im Folgenden, als handle sich's etwa um das Anlegen
einer Bücherei üer deutschen Nationalliteratur aus öffentlichen oder größeren
prioaten Mitteln, die der allgemeinen Benutzung, aber nicht sachwissenschaft-
lichen Studien dienen soll. Auch eine solche Bücherei braucht natürlich noch
nicht den ganzen Hempel oder Kürschner zu kaufen. Der einzelne Lileratur-
freund aber, der für seine Privatzwecke sammelt, wird selbstverständlich aus
der Auswahl wieder seine Auswahl treffen, und die Mengs tut's hier nicht.
Daß unsere Bücher für uns wirklich leben, das ist ja die Hauptsache, und
so kann man ja bei der Zusammenslellung seiner Bücherei mit bestem Gewissen
seiner persönlichen Neigung, seiner „Liebe" erweiternd sowohl wie auch be-
schränkend nachgehen. Ein tiefer und tüchtiger Mensch kommt schließlich
doch zu den Größten, vor allem zu Goethe, der nicht nur viele Wege weist,
sondern zu dem auch viele Wege führen. Bezeichnen wir unserseits im Fol-
genden üie, welche uns als die besten erscheinen, so bleiben wir uns
natürlich der Tatsache bewußt, daß manch anderer Mann da und dort denken
wird: oho, ich ziehe die andere Straße vor und verweile auf anderen Plätzen
lieber. Wir denken nicht dran, ihm üas verkümmern, ihm unsere Meinung
austrotzen zu wollen. Aber wir wären unehrlich, wenn wir ihm was anderes
sagten, als was wir denken; begründen läßt sich in solcher Kürze nicht, und
so zwingt zu dem gerade bei poetischen Dingen doppelt ärgerlichen „Apodik-
tischen" der Urteile eben doch die Sache selber.

Vonden deutschenDichtungendes Mittelalters werdenfürdiemeistennurdas
N ibelungenlied, Gudrun, die Gedichte Walthers von der Vogel-
weide, Wolframs „Parzival" und Gottfried vonStraßburgs „Tri-
stan und Jsolde" sowie einzelne Lieder aus des Minnesangs Frühling in Betracht
kommen. Wer kann, wird sie in üer Ursprache lesen, wer nicht, behilst sich
mit Uebersetzungen, von denen bei den ürei ersten Werken immer noch Sim-
rock, bei den beiden nächsten Wilhelm Hertz den Vorzug verdienen. Jm Notfall
genügt auch Reclam, bei dem nur „Tristan und Jsolde" fehlt, doch ist dort
die Jmmermannsche Umarbeitung zu finden.

Zu dem Grundstock einer Bibliothek der deutschen Nationalliteratur gehören
unsrer Meinung nach die Volkslieder, Volksmärchen und Volks-
bücher. Von den Volkslieder-Ausgaben ist jetzt auch die vorzügliche Uhlandsche
(bei Cotta) billig zu haben, Reclam hat „Des Knaben Wunderhorn". Die
Grimmschen „Kinder- und Hausmärchen" sindet man gleichfalls vollständig
bei üiesem und ebenso die Volksbücher in der Schwabschen Bearbeitung —
beide Werke kommen vor allem auch sür die Jugend in Betracht. Von Alt
und Jung nicht zu vergessen sind die „Deutschen Sagen" von Grimm.

* Die in den Listen angegebenen Preise verstehen sich für das ge-
bundene Exemplar, wenn nicht ausdrücklich geh. (geheftet) bemerkt ist.
Bücher, die in einer der billigen Ausgaben (bei Reclam, Hesse,Hendel, Meyer usw.)
zu haben sind, sind mit einem Stern (*) bezeichnet. Jst bei mehreren Werken
eines Versassers nur bei dem ersten der Verleger angegeben, so gilt dieser auch
für die folgenden Titel.


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