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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

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Heft 7 (1. Januarheft 1904)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0555

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und er besitzt auch seine Propheten und Jünger. Jch bin ein Mensch,
der die Seinen nicht vergißt! Auf Sie hatte ich Hofsnungen gefetzt,
Berting; große Hoffnungen! Manches Jhrer Gedichte schien mir dafür
zu sprechen, daß Sie einer seien, der mit Lastenden Fühlern das Neue
sucht. Jch glaubte, Sie gehörten zu uns. Einen Namen haben wir
nicht, auch keinen geschriebenen Kodex, nicht einmal ein Sakrament.
Wir verpflichten durch keinen leiblichen Eid. Wir sind die Gesellschaft
der Erleuchteten, unsichtbar über die ganze Welt verstreut, allgegen-
wärtig. Von heut ab rechne ich Sie zu den Unsrigen. Und so ist
mein Aufenthalt hier nicht umsonst gewesen. Jch habe das hohe Glück
gehabt, an einem Tage zwei Menschen zu fischen. Jch weiß nicht,
wer von euch beiden der Wertvollere ist. Ach, dieses Mädchen hat
mir eine unvergeßliche Sensation verurfacht! Ein Ton, ein unendlich
feiner, tief aufregender Ton zittert in mir nach von jener Stunde.
Jch habe ein neues Arom gekostet. Sie wissen was eine anäition eolorss
ist? Jch erlebte das Phänomen in der Nähe dieses Geschöpfes. Wissen
Sie, ich hörte ganz deutlich die Rhapsodie von Liszt, so wie sie Rubin-
stein spielte, und gleichzeitig sah ich das keuscheste Rosa junger Apfel-
blüten übergehen ins Mattlila des Spätabendhimmels. Dieses sublime
Wesen vereinigt den Duft eben geschnittenen Heues und von Patschuli,
das Raffinement des Un äo siools und die Urmhstik einer Eva. Wahr-
haftig, sie ist einzig! Um Hedwigs willen könnte ich Tränen ver-
gießen, daß ich reisen muß. Jch schenke sie Jhnen. Und ich spreche
zu euch beiden: Kindlein, liebet euch untereinander!" —

Er erhob den Sektkelch. „Mein Auge hat euch erkannt; ich habe
euch umarmt seelisch." Er leerte das Glas und warf es hinter sich.

„Nun wollen wir übergehen zur Sensation der Sensationen,
zum Absinth!" —

RlmcksckLU.

K Zur Frenssen-Mode.

„Kaltes Blut wahren!" — wenn
eine literarische Erfcheinung heutzu-
tage den Kritiker zu dieser Mahnung
an fich selber anregen mutz, fo ift's
wirklich die Frensfen-Mode. Wir vom
Kunftwart können nicht in dern Ver-
dachte stehn, Frenssen zu unterschätzen,
wir sind nächst der,ChriftlichenWelt"
die ersten gewssen, die, im Dezember
t90t schon (Kw. XV, ?), mit vollster
Wärme auf ihn hinwiesen, wenngleich
wir Vorbehalte schon damals machten.
Nun aber kamen die „Schwöger", die
Loberund Preiser ohneHalt,die aus der
Freude über ein neues krästiges Talent
dasHosiannah über ein neues Genie er-
hoben, und mit ihnen kam dieMode.
Wir wiederholen, was wir schon ein-

N Ianuarheft 1904

mal als unsre Meinung bekannt: wir
sehen in dieser Mode an sich kein
Unheil, im Gegenteil, eher ein Glück.
Moden sind nun einmal keine Ver-
körperungen von Jdealen, will man
die Frenssensche beurteilen, muß man
doch wohl fragen: was wäre von
diesen Hunderttausenden sonst ge-
lesen worden, besseres oder schlechteres?
Seldst zu denen, so in den Leihbiblio-
theken im Dunkelsten wühlen, ist durch
die Frenssen-Mode einmal ein leiser
Himmelsschein gekommen, ein Abglanz
von echter Heimatskunst, ein Gnaden-
geschenk mit einzelnen Stücken künst-
lerisch gestaltender Darstellung. Ob
nun Frenssens Heimatsschilderung im
eigentlichsten Sinne echt, ob nicht die-
ses und das dabei der Wirkung zu

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