enthauptet und verbrannt werden. Jst er aber aus dem Turmverließ,
wozu der Schlüssel verloren gegangen und der Wächter gerade trunken
war, entwichen und hat die Stadt mit etlichen Spießgesellen angezündet,
wodurch er mit des Teufels Hilfe einen so großen Brand hervorrief, daß
nicht ein Stein auf dem anderen behaften blieb. Jm Jahre des Herrn
s3ll aber . . ." „O Gott, erst sZss", seufzte Paul tief bei sich.
„ . . . kam der hochgeborene und vieledle Herr Graf von Reventlow,
dem das Kloster zu Koggenstedt zinspflichtig war, und ließ die Stadt aus
dem eigenen Säckel abermals erbauen." Er hielt einen Augenblick inne.
Es war doch schön zu lesen! „Sehr interessant", fagte Paul, gualmte
und trank Bier. „Kolossal, was?" meinte Bernhard. „So 'ne ganze Stadt.
Aus freier Faust wieder aufbauen lassen. Das täte heutzutage keiner!
Ginge ja auch nicht. Unser Postgebäude allein kostet über vierzigtausend
Mark." „Ach, so viel?" fragte Paul bewundernd. „Ja, oder fünfzigtausend,
ich weiß nicht. Das geht einen ja nichts an. Aber es ist lange zu klein.
Wir müssen anbauen. Der Reichstag will bloß nichts hergeben. Diese
Schusters. Was wissen die vom Postbetrieb? Keene Ahnung!" Paul be-
dauerte die Enge, in der Bernhard seine Kräfte aufreiben mußte: „Kann
denn das die Verwaltung nicht selbst bestimmen, wenn angebaut werden
soll?" „Jst möglich", lautete die Antwort, „aber wissen Sie: unser Obcr-
meier, der ist viel zu zaghaft. Der kriecht vor 'm Reichstag. Der hat
Angst vor Bebel! Na, da sollte ich stehen. Was ich überhaupt alles
resormieren würde, das glauben Sie gar nicht." „O gewiß", beruhigte
ihn Paul über diesen Punkt.
„Ja, und nun weiter", schob sich P. C. Behm dazwischen. „Jm Jahre
. . ." Aber Anna trat ihm entgegen: „Vater, das ist nun genug.
Laß uns lieber noch ein bißchen was anderes erzählen." Dabei blickte sie
mit einer Art von Scheu zu Paul hinüber. Und es fiel ihr ein: sie kannte
den Mann, der dort saß, heute Abend ja gar nicht. Es war ihr eine
Erlösung, als er sagte: „Ja, und ich muß nun bald aufbrechen. Jch
habe noch einen Patienten." „O Herr Dokter!" bat Frau Behm. „Ja,
die Pflicht geht doch leider vor, verehrte Frau Behm." Paul war sehr
pflichteifrig auf einmal. Bernhard stimmte ihm zu: „Tut sie, tut sie.
Sag' ich auch immer. Was wissen die Frauen von unseren Pflichten, wie?
Noch 'ne Flasche und 'n Glimmstengel, Dokter! Denn geht das Kurieren
um so besser." Paul lehnte jetzt entschieden, mit verzweifelter Entschlossen-
heit ab. P. C. Behm sah ein, daß es mit dem Vorlesen nicht recht
etwas würde, und legte sein Schriftstück ein wenig betrübt in die Kommode.
Dann sprachen sie noch, während Paul auf dem Sprunge saß und nur
darauf wartete, entschlüpfen zu können. Sie redeten vom Wetter, vom
Postbetrieb, von den Telephonanschlüssen und von der neuen Gasleitung.
Ob die röche. Dann über das Bier und den Reichstag und die Windpocken
in Koggenstedt und die Pest in Jndien. Kein Wort fiel zwischen Paul
und Anna. Sie waren einander völlig fremd. Es wäre lächerlich gewesen,
hätte hier einer von Verlobung fabeln wollen. Da sah Paul, wie Frau
Behm einnickte. Das war ein Grund, sich zu erheben, ein willkommener
Grund! „Jch muß wirklich, so gern ich noch hier bliebe." „O, o, Herr
Dokter." „Ja, leider. Meinen allerherzlichsten Dank für den gemütlichen
Abend." Bernhard lud gleich von frischem ein: „Machen Sie 's mal wieder
so, ganz sans Scheene, tout unter na nous jungen Mädchen." „Gewiß,
2. Februarheft 190h
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wozu der Schlüssel verloren gegangen und der Wächter gerade trunken
war, entwichen und hat die Stadt mit etlichen Spießgesellen angezündet,
wodurch er mit des Teufels Hilfe einen so großen Brand hervorrief, daß
nicht ein Stein auf dem anderen behaften blieb. Jm Jahre des Herrn
s3ll aber . . ." „O Gott, erst sZss", seufzte Paul tief bei sich.
„ . . . kam der hochgeborene und vieledle Herr Graf von Reventlow,
dem das Kloster zu Koggenstedt zinspflichtig war, und ließ die Stadt aus
dem eigenen Säckel abermals erbauen." Er hielt einen Augenblick inne.
Es war doch schön zu lesen! „Sehr interessant", fagte Paul, gualmte
und trank Bier. „Kolossal, was?" meinte Bernhard. „So 'ne ganze Stadt.
Aus freier Faust wieder aufbauen lassen. Das täte heutzutage keiner!
Ginge ja auch nicht. Unser Postgebäude allein kostet über vierzigtausend
Mark." „Ach, so viel?" fragte Paul bewundernd. „Ja, oder fünfzigtausend,
ich weiß nicht. Das geht einen ja nichts an. Aber es ist lange zu klein.
Wir müssen anbauen. Der Reichstag will bloß nichts hergeben. Diese
Schusters. Was wissen die vom Postbetrieb? Keene Ahnung!" Paul be-
dauerte die Enge, in der Bernhard seine Kräfte aufreiben mußte: „Kann
denn das die Verwaltung nicht selbst bestimmen, wenn angebaut werden
soll?" „Jst möglich", lautete die Antwort, „aber wissen Sie: unser Obcr-
meier, der ist viel zu zaghaft. Der kriecht vor 'm Reichstag. Der hat
Angst vor Bebel! Na, da sollte ich stehen. Was ich überhaupt alles
resormieren würde, das glauben Sie gar nicht." „O gewiß", beruhigte
ihn Paul über diesen Punkt.
„Ja, und nun weiter", schob sich P. C. Behm dazwischen. „Jm Jahre
. . ." Aber Anna trat ihm entgegen: „Vater, das ist nun genug.
Laß uns lieber noch ein bißchen was anderes erzählen." Dabei blickte sie
mit einer Art von Scheu zu Paul hinüber. Und es fiel ihr ein: sie kannte
den Mann, der dort saß, heute Abend ja gar nicht. Es war ihr eine
Erlösung, als er sagte: „Ja, und ich muß nun bald aufbrechen. Jch
habe noch einen Patienten." „O Herr Dokter!" bat Frau Behm. „Ja,
die Pflicht geht doch leider vor, verehrte Frau Behm." Paul war sehr
pflichteifrig auf einmal. Bernhard stimmte ihm zu: „Tut sie, tut sie.
Sag' ich auch immer. Was wissen die Frauen von unseren Pflichten, wie?
Noch 'ne Flasche und 'n Glimmstengel, Dokter! Denn geht das Kurieren
um so besser." Paul lehnte jetzt entschieden, mit verzweifelter Entschlossen-
heit ab. P. C. Behm sah ein, daß es mit dem Vorlesen nicht recht
etwas würde, und legte sein Schriftstück ein wenig betrübt in die Kommode.
Dann sprachen sie noch, während Paul auf dem Sprunge saß und nur
darauf wartete, entschlüpfen zu können. Sie redeten vom Wetter, vom
Postbetrieb, von den Telephonanschlüssen und von der neuen Gasleitung.
Ob die röche. Dann über das Bier und den Reichstag und die Windpocken
in Koggenstedt und die Pest in Jndien. Kein Wort fiel zwischen Paul
und Anna. Sie waren einander völlig fremd. Es wäre lächerlich gewesen,
hätte hier einer von Verlobung fabeln wollen. Da sah Paul, wie Frau
Behm einnickte. Das war ein Grund, sich zu erheben, ein willkommener
Grund! „Jch muß wirklich, so gern ich noch hier bliebe." „O, o, Herr
Dokter." „Ja, leider. Meinen allerherzlichsten Dank für den gemütlichen
Abend." Bernhard lud gleich von frischem ein: „Machen Sie 's mal wieder
so, ganz sans Scheene, tout unter na nous jungen Mädchen." „Gewiß,
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