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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

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Heft 12
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Rundschau
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Drama bitter gerächt; aber gerade in
ihr seh ich all das Gute, Ehrliche
und Tüchtige ruhen, was uns an
dieseni Frnhwerk mit so fröhlicher
Zukunftshoffnung erfüllt: die Frische,
die Selbständigkeit, die Ursprünglich-
keit, die Parzival-Torheit einer Be-
gabung, die das Rechnen nicht ge-
lernt hat und die, was sie an Wir-
kung findet, in nachtwandlerischer
Unbewußtheit findet. Und noch eins
verdient hervorgehoben zu werden:
dieser Schmidt-Bonn setzt nicht an
irgend einem willkürlichen Punkte
ein, der mit unserer literarischen Ge-
samtentwicklung nichts zu tun hätte;
sein Weg steigt aus den Gründen
des Naturalismus empor, aus seinen
Bronnen hat dieser Dichter getrunken,
von seinen Wettern hat er sich schüt-
teln lassen — um so sicherer wird
er ihn überwinden! . . .

Unter den mannigfachen Verdien-
sten, die die Direktion Reichardt sich
um die dramatische Knnst während
der nur erst kurzen Spanne ihrer
Wirksamkeit erworben hat, steht der
Entschluß, diesem jungen Poeten aus
den Rheinlanden aus die Füße zu
helfen, gewiß nicht an letzter Stelle.

Lrnst Detleff.

H>Münchner Theater.

Der „Neue Verein" ließ im Volks-
theater Heinrich von Kleists dra-
matisches Fragment „Robert Guis-
kard" aufführen. Die Tragödie ist
bekanntlich nicht über den ersten An-
satz in einem Aufzuge hinaus ge-
diehen. Dieser Ansatz aber rst von
einer solchen Gewalt, und er bie-
tet dabei immerhin ein Gemälde
von so weit in sich abgeschlossener
Wirkung, daß man dem jungen Ver-
ein für sein Unternehmen nur dank-
bar sein kann. Mit Wonne atmete
man da endlich wieder einmal, statt
sich die Ohren von allerhand Mode-
problemgezänk widergellen lassen zu
müssen, die reine scharfe Schicksalsluft
der echren Tragödie. Ein pestverseuch-

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tes Volksheer voller Heimatssehnsucht
im Feindesland, der Führer aber, von
dem allein sie Rettung erhoffen und
Heimkehr erflehn, im Geheimen selber
erkrankt! Der Sohn, der's ingrim-
mig verbergen, der Neffe, der's
herrschlüstern aufdecken will — und
nun der Alte selber, der sich in mäch-
tigem Willenstrotz vor dem Heer als
Kerngesunder aufpflanzt, während
das Verhängnis ihn doch schon hinter-
rücks erschüttert! Und in welch ge-
waltigen Bildern türmt Kleist diese
Fülle des Kampflebens vor uns auf,
von dem „Fluche" an, der heulend
aus eherner Brust mit hörnernen
Klauen das silberne Gebein des Ver-
fluchten frech hervorwühlt, bis zu
dem ebenso mächtig wie sein ans-
geführten Vergleich der Lautlosigkeit
des ehrfürchtig harrenden Heeres mit
der Windstille über dem Meer.

Als zweites Stück des Abends
wurde Hebbels „Diamant" gegeben,
vielleicht das geistvollste Lustspiel,
das wir überhaupt haben. Jst es
nicht schon an sich eine komische Jdee
ersten Ranges, den Diamanten, den
Gegenstand des allgemeinen heftigen
Begehrens, von einem diebischen Ju-
den der größeren Hehlsicherheit we-
gen verschlucken zu lassen und so den
Mittelpunkt des Stückes gewisser-
maßen in den Bauch dieses listen-
reichen Mannes zu verlegen? Und
nun diese Katzbalgerei um den kost-
baren, so unwürdig aufbewahrten
Edelstein! Aus dem lebendigen Leibe
des Juden wollen sie ihn schneiden,
da er auf natürlichem Wege nicht
heraus will — der hochverliebte Prinz
um seiner Liebe willen nicht minder,
wie die Rüpel aus Geldgier. Er-
scheint da der Sohn Salomos nicht
wirklich als ein „Stück Holz", „ans
dem mit den Schnitzmessern einGott
herausgegraben werden soll?" Und
erhebt sich nicht so aus dem bur-
lesken Lustspiel ein Weltbild, das
um so stärker wirkt, als das tiefer

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