Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

DOI Heft:
Heft 12
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0830

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Menschüche selbst bis in die tollsten
Fratzen hinein von Hebbel gewahrt
bleibt, in dem er den großen naiven
Egoismus aufs drolligste mit „besse-
ren" Gewissensansätzen kämpfen läßt?
Wie köstlich tritt dieser Kampf im
Richter zutage, der sich damit be-
ruhigt, daß er deu Bauern, den er
um den Diamanten im Judenleibe
prellen will, zu seiuem Erben ein-
setzen kann, im Arzte, der ihn bei
seinen künftigen Weltreisen als Be-
dienten hintenauf sitzen lassen will!
und jener gemütvolle Zug intim-
menschlicher Neugierde gegenüber dem
Leiden anderer kann er lebendiger
und schärser gezeichnet werden als in
dem Ausspruch des Gastwirts, da der
Jude ausgeschlitzt werden soll: „Nun
werden wir zu sehen kriegen, ob ein
Mensch inwendig wirklich wie ein
Schwein aussieht." Jn seelisch be-
dcutsamen Gegensatz zu dieser Welt
burlesker Realität verlegt Hebbel
Ausgang und Schluß der Handluug
in die Geschichte einer ätherisch seinen
Prinzessin; in deren Kopf hat die
Phantasie so sehr die Oberhand über
die Wirklichkeit gewonnen, daß sie
sterben zu müsfen glaubt, da ihr der
mystische „Familiendiamant" abhau-
den gekommen ist: ja sie wähnt sich
schließlich schon gestorben und emp-
findet ihre Umgebung nur noch als
eine Schattenwelt, bis ihr Vater, der
König, den verhängnisvollen Stein
um eine Million ausschreiben und
Straffreiheit sür den Wiederbringer
zusichern läßt: da wird ihr denn der
Diamant in so plumpen Fäusten zu-
rückgestellt, daß ihr Glaube an die
Wirklichkeit zurückkehrt. Freilich, in
der sinulich künstlerischen Ausführung
kann das Stück meiner Meinung nach
nicht zu den bestgelungenen Hebbels
gerechnct werden. Es gilt wohl auch
für ihn und sein Werk, was er in
dem geist- und stimmungsvollen
Prolog seinen Dichter sagen läßt,
„das (was ein Lustspiel schrei-

ben heißt) steht so klar vor meinem
Geist,

Daß, wenn ich's minder klar erblickte,
DasWerkvielleicht mir besser glückte!"

Das „Weltbild" wird wenigstens für
mich etwas zu konsequent deutlich an
derSpule derHandlung aufgerollt, da
scheint mir deun der Leib durch den
Geist, das sinnliche Leben durch das
Hervortreten der Jdee beeinträchtigt
zu werden. Dann, so scharf Hebbel
in seiner Gestalten Jnnerstes blickt,
so gut er weiß, was sie sagen müssen,
wie sie's tun, hat er nicht immer
ebenso glücklich erlauscht. „Jch hätte
den Spiegel, in den ich, als wir vor-
beigingen, aus Versehen hiueinguckte,
um Verzeihung bitten mögen, meines
ungewaschenen Bildes wegen." Das
ist nicht nur keine Nüpelrede, das ist,
trotz ihres seelisch charakteristischen
Gehalts, überhaupt keine lebendig
gefühlte Rede, es ist eine rein gedank-
liche Satzkonstruktion, das sehn
wir aufs deutlichste an der Stellung
des Relativsatzes, der rein „schrift-
stellerisch" mitten in den natür-
lichen Fortgang der Rede hinein-
gekeilt und dann erst noch seiner-
seits durch einen Nebensatz in zwei
Teile gerissen wird. Solche Kon-
struktionen beherrschen das Stück auf
weite Streckeu hin und beeinträchtigen
die volllebendige Wirkung des Wortes.
Aber auch bei der Gestaltencharak-
teristik selber ist's einem an einigen
Stellen, als zeigte einem Hebbel nicht
den Menschen in lebeudiger Bewe-
gung, sondern als öffnete er ihm
den Leib, um seine inneren Organe,
in vollendeter Plastik allerdings, auf-
zuzeigeu. So, wenn seine Personen,
worauf schon Otto Ludwig hinwies,
sich selber über ihr Wesen in län-
geren Monologen auslassen, oder
wenn Erzählungen zu diesem Zweck
und zur Beleuchtung der Handlung
ohne überzeugend-organische Eiuglie-
derung herangeholt werden. Aller-

2. Märzheft

685
 
Annotationen