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Auge, Oliver; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter: der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit — Mittelalter-Forschungen, Band 28: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34741#0075

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I. Der Raum, seine Kräfte und seine Herausforderungen

aus auch nicht um ihre gegenseitigen Verpflichtungen kümmern, und z. B. auch Schwie-
gervater mit Schwiegersohn zu erbitterten Feinden werden.^ Gerade in der von uns be-
trachteten Epoche, in der unvorhersehbar schnell wechselnde Machtkonstellationen
ebenso rasche Reaktionen und Frontwechsel von seiten der politisch Handelnden erfor-
derlich machten, bot jedenfalls die Bündnispolitik für Mächte, die, auf sich allein ge-
stellt, einfach zu schwach waren, um sich gegen eine Hegemonialmacht oder eine über-
mächtige Front expansiver Nachbarn zu behaupten - und um solche handelte es sich
fast stets bei Mecklenburg, Werle, Pommern und Rügen - eine unverzichtbare Option,
um sich eigene Handlungsspielräume zu schaffen bzw. zu erhalten und diese dann auch
offensiv oder defensiv zu nutzen.
Die damalige Bündnispolitik scheint mithin einem virtuosen Spiel vergleichbar,
das Einfallsreichtum, Reaktionsvermögen und Flexibilität erforderte, sollten Erfolg und
langfristiger Gewinn winken. Hinter dem diplomatischen Hin und Her stand tatsäch-
lich das Bestreben der Fürsten und Herren, die eigene Position um nahezu jeden Preis
zu stärken und die der Nachbarn im eigenen Interesse zu schwächen, auf keinen Fall
aber eine Stärkung der letzteren zuzulassen. ' ' Außerhalb dieser Gesetzmäßigkeit fin-
den wir von Verläßlichkeit und Stetigkeit der Bündnispolitik lange, bis zum Ende des
15. Jahrhunderts, wenig Spuren. Dieser Wesenszug lag in der persönlichen Komponente
begründet, die in der Außenpolitik so lange und länger als anscheinend im innenpoliti-
schen Bereich vorherrschend war. Der unerwartete Tod oder die Abdankung bzw. Ent-
machtung eines Gegners konnte eine zuvor sehr bedrohliche Lage ebenso entspannen
wie persönliche Animositäten zweier Fürsten die vorher mehr oder minder guten Bezie-
hungen zweier Nachbarmächte fortan schwer belasten konnten. Für beiderlei Fälle hält
die Geschichte der Fürsten und Herren des südlichen Ostseeraums etliche Beispiele pa-
rat.

1.3.3 Die gezielte Ausnutzung regionaler Machtvakuen
Für die von uns betrachteten Fürsten geht die Forschung bislang einhellig davon aus,
daß sie über weite Strecken ihrer Geschichte als Objekt der Politik anderer keine selb-
ständige und aktive Rolle spielten^, ja mehr noch: Ihnen wird - aufgrund der Annahme
vermeintlich mangelnder Machtreserven, die sich hätten aggressiv einsetzen lassen -
eine positiv verstandene, da ausgleichend wirkende Passivität zugesprochen, wodurch
sie zu einem Stabilitätsfaktor im Ostseeraum geworden seiend Pommern etwa, so wird
in den Raum gestellt, habe »eigentlich selbst nie seinen Nachbarn seine Hoheit aufzu-
zwingen versucht«. Folgerichtig werden Zeiten expansiver Politik als Ausnahmen ge-
wertet, die ohnehin anderen Traditionen verpflichtet gewesen seien - im Falle Erichs
von Pommern z. B. dänischen -, und Phasen gehäuft auftretender Konflikte und Fehden

359 Wenn sich etwa 1316 die Herren von Werle wie auch die Grafen von Schwerin dem Schutz des
dänischen Königs unterwarfen und ihm versprachen, ihm mit allen ihren Landen und Leuten,
jedoch ausdrücklich ohne Verpflichtung ihrer Erben, gegen jedermann beizustehen (RuDLorr
1785, S. 222), steht dahinter genau der Wunsch, längerfristige bzw. generationenübergreifende
Bindungen zu vermeiden.
360 So SCHMIDT 1998a, S. 86t Siehe auch MoHRMANN 1972, S. 283. Ihm zufolge konnte die Vertrags-
politik der Zeit »je nach Opportunität diese freundlichere oder auch durchaus die andere krie-
gerische Seite zeigen«. Sie war »stets Mittel und Werkzeug einer auf Expansion ausgerichteten
Territorialpolitik«.
361 Siehe etwa NowAK 1996, S. 88 für Pommern im Verhältnis zum Deutschen Orden und Polen.
362 PETERSOHN 1983, S. 115. Auch zum Folgenden.
 
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