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Auge, Oliver; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter: der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit — Mittelalter-Forschungen, Band 28: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34741#0090

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1.3 Sich mit dem Raum arrangieren oder ihn überwinden: Wege fürstlichen Handelns 75

7.3.3.3 Die Fürsten nnü Herren des sü'üü'c/zen Osfseerntnns.* passte nnü üe/ensz'u?
Die vorangegangenen Abschnitte dürften die wiederholt begegnende Forschungsmei-
nung, die Fürsten und Herren des südlichen Ostseeraums hätten sich durch eine gera-
dezu zeituntypische Passivität und ausgleichende Defensivhaltung ausgezeichnet, wi-
derlegt haben. Wenn sich im Umfeld ihrer Herrschaftsbereiche Machtvakuen auftaten,
etwa wenn zwei Nachbarn miteinander Krieg führten oder wenn eine Dynastie in der
Region ausstarb, versuchten sie diese Gelegenheit zu nutzen und sich in den freigewor-
denen bzw. kurzfristig freien Positionen möglichst festzusetzen. Vor Aggression scheu-
ten sie dabei selbstredend nicht zurück.
Die Fehleinschätzung mancher Wissenschaftler dürfte von dem Eindruck herrüh-
ren, den die doch eher negative Erfolgsbilanz beim Durchgehen der vorhandenen Bei-
spielfälle nahezu zwangsläufig hinterläßt. Die Versuche, solche Machtvakuen für sich
auszunutzen, sind zahlreich, die Erfolge, die am Ende solcher Unternehmungen stan-
den, trotzdem vergleichsweise überschaubar. Das dichte Kräftespiel des interterritoria-
len Systems »Südlicher Ostseeraum«, in dem viele Mächte eine Rolle spielten und mit-
einander konkurrierten, bot anscheinend kaum und nur in besonderen, meist von
mehreren günstigen Faktoren gleichzeitig bewirkten Ausnahmefällen ausreichend
Spielraum für großzügige Erweiterungen der eigenen Machtbasis auf Kosten des oder
der Nachbarn. Der »Normalfall« sah demgegenüber anders aus: Die sonst vergleichs-
weise ausgeglichenen oder durch eine Hegemonialmacht dominierten Kräftekonstella-
tionen erlaubten und ermöglichten eine Politik nur der kleinen Schritte, die Erfolge wie
Rückschläge gleichermaßen kannte.

1.3.4 Das Streben nach einer Vormachtstellung im regionalen Konkurrenzkampf
Anders mußte sich die Sachlage fast zwangsläufig ausnehmen, wenn es einem Fürsten
gelang, eine Vormachtstellung im politischen System zu erringen. Eine solche Position
half, gerade wenn die eigene Machtbasis über den angestammten Herrschaftsbereich
hinaus mehr oder minder großzügig erweitert werden konnte, den Raum und die an
ihn geknüpften Grundbedingungen zu überwinden. Wenn überhaupt ein Ziel fürstli-
cher Politik erkennbar ist, das mit dem stets wirksamen genealogischen Zufall konform
lief, dann war das die Verbreiterung der eigenen Basis in jeder nur denkbaren Form: fa-
miliär-dynastisch etwa durch möglichst viele Nachkommen, politisch-wirtschaftlich
durch die gleichzeitige Wahrnehmung möglichst zahlreicher Herrschaftsrechte, die ih-
rerseits Grundlage waren für die Versorgung der möglichst breiten Nachkommen-
schaft. Kulminationspunkt dieser expansiven Tendenz, gerade bezogen auf das inter-
territoriale System, in welches ein Fürst mit seiner Herrschaft gestellt war, war die
Erringung einer dominanten oder hegemonialen Stellung/"* Dieter Stievermann hat am
Beispiel der Wettiner und ihrer Stellung im mitteldeutschen Raum um 1500 eine klare

461 Siehe aber die Einschränkung bei STIEVERMANN 2003, S. 380: »Die hegemoniaie Herrschaft ist
aber wohl nur in begrenztem Umfang in seinem (Ernst Schuberts, O. A.) Sinne den interterrito-
rialen Systemem zuzuordnen, sondern zu einem Teil eher als supraterritorial bzw. zum anderen
Teil lediglich als Surrogat für eine vollendete Territorialisierung anzusprechen.« Freilich setzt
diese Einschränkung einerseits voraus, daß die hegemoniaie Stellung von Dauer ist - bei einer
nur kurzfristigen Erlangung dieser Position erfolgt im Anschluß eine »Rückkehr« in das vorhe-
rige interritoriale System. Andererseits unterschlägt sie, daß das Surrogat in rein territorialer
Hinsicht aus dem Bereich des interritorialen Systems hervorgehen kann.
 
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