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Auge, Oliver; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter: der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit — Mittelalter-Forschungen, Band 28: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34741#0343

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328

V. Fürstliches Rangbewußtsein und dynastische Repräsentation

rtes Studiums im sächsischen Wittenberg verfaßte, bricht der Autor freilich vollständig
mit den Ansichten der Geschichtsschreibung vor ihm und mit der von ihm selbst bis da-
hin vertretenen und schriftlich niedergelegten Meinung, denn nun behauptet er: Es z'si
o/n; Zwei/d, in diesem E%n& uon erster LWauU /zer Deutsc/ze gesessen sez'nzt gewest/^ Die
Wendenzeit, in welcher man so lange den Ursprung in der Geschichte Pommerns er-
blickt hatte, wird nun zu einer bloßen Zwischenperiode zwischen zwei germanisch-
deutschen Epochen konstruiert. Dieser Wandel begegnet auch in der fürstlichen Na-
mensgebung, auf die bereits hingewiesen wurde: Zwar kommen bis zuletzt slawische
Namen bei Vertretern der Greifendynastie vor, doch handelt es sich bei deren Inhabern
seit den Tagen Bogislaws X. stets, nur mit der Ausnahme seines 1514 geborenen und als
Kleinkind verstorbenen Enkels Bogislaw XI., auffälligerweise um geburtsmäßig nachge-
ordnete Vertreter des Geschlechts.*"" Die für die Regierung zunächst prädestinierten
Erst- und Zweitgeborenen erhielten nun dagegen Namen wie Philipp, Georg, Franz und
dergleichen mehr.'"
Wie ist dieser extreme Meinungsumschwung zu erklären? Unzweifelhaft spiegelt
sich die Germanenbegeisterung des deutschen Humanismus darin wider, von der etwa
Kantzow während seines Studiums in Wittenberg angesteckt worden sein dürfte. Doch
geht der markante Traditionsbruch in seiner Tragweite natürlich über die Persönlichkeit
der hofnahen Autoren Kantzow und Marschalk hinaus: Der Umschwung legt nahe, daß
man damals an den Fürstenhöfen ein neues »germanisch-deutsches« Bewußtsein ent-
wickelte, das sich in die Entstehung eines deutsch-protestantischen Nationalverständ-
nisses während der Burgunder- und Türkenkriege und dann vor allem in der Reformati-
onszeit einordnen läßt*"" und das den Fürsten durch ihre Partizipation daran ermöglichte,
sich als wirklich vollwertiger Reichsstand zu verstehen und zu präsentieren.

V.3.6 Principes imperii
In einem reichsständischen Kontext lassen sich weitere Beobachtungen zum Rangbe-
wußtsein der Fürsten des südlichen Ostseeraums um 1500 verorten, die von dem »Ma-
kel« des vergleichsweise späten Aufstiegs in den Reichsfürstenstand geprägt waren.*""
Der schon zitierte Brief von Bogislaws X. Gemahlin Margarete spiegelt die damalige
Selbstsicht der Pommernherzöge gerade vor dem Hintergrund der Infragestellung ihres
fürstlichen Status durch Brandenburg eindrücklich wider. Der Konflikt mit Branden-
burg bildet ohnehin einen ganz zentralen Hintergrund für die sich unter Bogislaw X.
rasant vollziehende Entwicklung der dynastischen Repräsentation und des fürstlichen
Rangbewußtseins in Pommern, ungeachtet der damals allgemeinen Entwicklung. Erin-
nert sei daran, daß Martin Dalmer in seiner Beschreibung der Fahrt Bogislaws ins
Hl. Land betont, jener sei etwa vom Rat der Reichsstadt Nürnberg empfangen worden
einen ioMz'yen Enrsienn &s Rezess, und daß berichtet wird, wie Bogislaw an der Kurie

179 WEBER 2002, S. 73; PETERSOHN 1988, S. 74; DERS. 1973, S. 33. - Auch zum Folgenden.
180 SCHWENNICKE 1984,111.1, Tf. 3.
181 Die »neue« Namensgebung erklärt sich über die im 16. Jahrhundert eingegangenen Ehen mit
Dynastien des Reichs wie den Wettinern und Wittelsbachern, deren Protagonisten diese Namen
führten.
182 PRiETZEL 2004, S. 135 spricht vom »spätmittelalterlichen Nationalismus«. Zur Reformationszeit
siehe dazu z. B. EHRENPREis/LoTZ-HEUMANN 2002, S. 64 und passim; BLiCKLE 1992, S. 152f. (an-
hand der Forderung nach einem Nationalkonzil); LuTZ 1991, passim.
183 Ähnlich war das bei den Hohenzollern der Fall. Siehe dazu NoLTE 2005, S. 45.
 
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