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Auge, Oliver; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter: der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit — Mittelalter-Forschungen, Band 28: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34741#0318

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V.l Die Frage der Quellen

303

Rangbewußtsein und Repräsentation sind zudem in einer gewissen, schwer oder
gar nicht auseinanderzuhaltenden Interaktion beides: Handlungsbestimmende Größe,
wenn Bewußtseinsinhalte und Vorstellungen auf Aktivitäten welcher Art auch immer
impulsgebend wirken und ihnen als Leitfaden dienen, und gleichzeitig die legitimie-
rende wie kompensatorische Antwort auf Herausforderungen verschiedenster Art.'"
Letzteres deutet an, daß Rangbewußtsein »keine handlungsleitende Präsenz in Angele-
genheiten des Alltags« bedeutet, sondern in besonderen Anlässen zum Vorschein
kommt."
Anders als in den vier Abschnitten zuvor stellt sich also weniger die Frage, auf wel-
chem Wege man sich bei dieser Koordinate Handlungsspielräume verschaffen konnte,
sondern es gilt vielmehr zu fragen, wie sie erstens als handlungsbestimmende Größe zu
definieren ist und wie sie zweitens als Reaktion auf bzw. Kompensation für etwas ver-
standen werden kann. Im übrigen ist auf die selbstverständliche Gemeinsamkeit dieser
Koordinate mit der der Dynastie und Familie zu verweisen: Wie bei jener geht das Rang-
bewußtsein von einer Person oder einer sozialen Gruppe aus, die seine Träger sind. Zur
»Gruppe« der Dynastie zählen über den engen Kreis der Herrscherfamilie hinaus syn-
chron auch deren am Hof versammelte /bw'lM und diachron deren Vorfahren*'; das
gruppenbildende Merkmal besteht in der familiären Herrschaft über ein Territorium."
Es ist gerade im Hinblick auf die Aussagekraft der Quellen und ihrer Verfasser zu beto-
nen, daß dynastisch-fürstliches Rangbewußtsein nicht allein auf die Person des Fürsten
zu beziehen ist, sondern zugleich und mindestens genauso auch »das« Rangbewußtsein
des ihn umgebenden Hofes bzw. der politisch-administrativen Elite des Landes meint
und meinen muß."

VI Die Frage der Quellen

Bei der Untersuchung des fürstlichen Rangbewußtseins stellt sich das Quellenproblem
in besonderer Weise. Welche Quellen sind für Bewußtseinsfragen überhaupt aussage-

erfahrungswissenschaftlichen Mitteln zu erkunden und (zunächst) zu beschreiben. Die theore-
tisch und empirisch haltlose Homogenisierung vieler einzelner aus einer ideologisch und stra-
tegisch operierenden Außenperspektive schafft [...] eine >Einheit< [...]. Wissenschaftlich brauch-
bar scheint mir das Konzept der kollektiven Identität ausschließlich in einem ganz anderen
Sinne. [...] Assmann macht [diese Alternative, O. A.] ausdrücklich und in präzisierter Form zur
Grundlage seiner Theorie des kulturellen Gedächtnisses. Kollektivsubjekte erscheinen in des-
sen Theorie als reichlich instabile Größe, deren empirischer Wirklichkeitscharakter und deren
Identität letztlich allein von den Identifizierungen der dieses Kollektiv bildenden Personen ab-
hängen.«
10 Siehe zu den Anhaltinern einleuchtend HECHT 2003, S. 113.
11 Zitat aus ERKENS 2006, S. 217) hier am Beispiel der Idee vom sakralen Herrschertum, für welche
aber sinngemäß dasselbe gilt.
12 Dazu etwa OEXLE 1990, S. 27-35 u. 41-48. Vgl. zur Definition der sozialen Kategorie »Gruppe«
etwa BAHRDT 1997) S. 90, u.a.: »Die Identifikation mit einem Wlr< ist eine der Bedingungen da-
für, daß die Gruppe existiert.« Zusammenfassend jetzt auch OEXLE 2007.
13 SCHUBERT 1996, bes. S. lOOff.
14 Siehe dazu u.a. MoEGLiN 1993, S. 595f. Dementsprechend ist der Adressat von Identitätsäuße-
rungen auch nicht nur der Fürst an sich, sondern genauso der Adel und die Verwaltungselite
des betreffenden Fürstentums. Vgl. dazu auch BABEL/MoEGLiN 1997.
 
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