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Auge, Oliver; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter: der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit — Mittelalter-Forschungen, Band 28: Ostfildern, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.34741#0217

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202

III. Fürst, Familie und Dynastie

an die Ergebnisse von Karl Schmidt Karl-Heinz Spießt sowie Joseph MorseE zu den-
ken. Peter Schuster hat deren Schlußfolgerungen in einem 2002 erschienenen Aufsatz
nochmals prägnant zusammengefaßt/" Demnach ist die Vorstellung von der adeligen
Familie als einer das ganze Mittelalter hindurch gefestigten sozialen und emotionalen
Einheit als idealistisches Bild späterer Zeiten entlarvt und überholt. Verwandtschaft im
strikt biologisch-genealogischen Sinne war zunächst einmal nicht entscheidend, son-
dern eher spielte das Bewußtsein um die Tradition des Geschlechts eine wichtige Rolle,
ein Bewußtsein, in dessen Rahmen man sich auch nicht vor neuen Verwandtschaftskon-
struktionen scheute. Das ehemals postulierte Vorherrschen agnatischen Denkens ist
gleichfalls empirisch nicht zu erweisen. Die angeheirateten Verwandten waren allem
Anschein nach nicht minder wichtig als die Blutsverwandten. Zudem - und das er-
scheint für unsere Thematik als ein zentraler Aspekt - stellten Verwandtschaft und
Blutsbindungen allein »nicht das überragende Ideal sozialer Beziehungen« dar; das Ido-
neitätsprinzip war mindestens ebenso ausschlaggebend. Gruppen bildeten sich etwa
auch durch com'Mnüz'ones oder am/'c/'Oüe." Der Freundschaft wurde im Mittelalter eine
hohe Wertigkeit zugewiesen, da sie auf innerer Übereinstimmung und auf wechselseiti-
ger Geneigtheit beruhte/' »Freundschaft, nicht Verwandtschaft konstituierte Solidarität,
wechselseitige Hilfe und Unterstützung.«^ Natürlich bestand Freundschaft auch unter
Verwandten, und die Begriffe »Freund« und »Verwandter« ließen sich deckungsgleich
verwenden.^
Verwandtschaft, zu sehen als ein Akt sozialer Zuschreibung, der etwa in einer ge-
meinsamen Wappenführung, der agnatischen Vererbung von Lehen und der Unteilbar-
keit der Stammburg zum Ausdruck gebracht wurde, spielte augenscheinlich zumeist
bei der Klärung von Besitzfragen eine Rolle, welche natürlich nicht immer konfliktfrei
ablief. Besitz regelte die Beziehungen innerhalb des Adels, nicht Emotionen. Um einem
Adelsgeschlecht als der labilen Besitzgemeinschaft, die es mithin darstellte, eine dauer-
hafte Grundlage zu verleihen, bedurfte es integrativer Momente, die in Familie und Dy-
nastie die emotionale Dimension stärkten und freundschaftlichen Zusammenhalt schu-
fen, wodurch immer wieder vorkommende Spannungen kompensiert werden konnten.
Fehlte es daran, konnte das und die sich daraus ergebende zwangsläufige Absorbtion
politischer und wirtschaftlicher Kräfte die Spielräume der einzelnen Familien- und Dy-

7 ScHMiD 1998 u. 1957.
8 SriESS 1993. In Vorbereitung zum Druck befindet sich unter seiner Herausgeberschaft auch ein
Reichenauer Tagungsband zur Geschichte der Familie in der Gesellschaft des Mittelalters, des-
sen Beiträge sich insbesondere mit den Ansätzen von Jack Goody (GooDY 1986) und Michael
Mitterauer (MiTTERAUER 1991) auseinandersetzen. Stark davon beeinflußt ist NoLTE 2005.
9 MoRSEL 2000 u. 2000a.
10 SCHUSTER 2002, S. 16-25. Hieraus auch das Folgende. Siehe grundlegend auch JussEN 2001 u.
1991.
11 So auch OEXLE 1998 u. DERS. 2007; RuBiN 1991.
12 Siehe etwa OscHEMA 2006; GARNIER 2000; Epp 1990.
13 Zitat aus SCHUSTER 2002.
14 Regelmäßg ist daher etwa in Heiratsabsprachen oder -Verträgen auch von »Freundschaft« die
Rede. Siehe als beliebiges Beispiel etwa das Heiratsabkommen zwischen Jaromar, Wizlaws III.
von Rügen Sohn, und Beatrix, der Tochter Heinrichs II. von Mecklenburg von 1325, worin beider
Väter die so gefestigte Freundschaft und Treue beschworen: [...] curn ddeHissirno woH's ge-
nero nosfro, donn'no Wi/zUuo, principe Rni/nnom??!, Mnionis et nmicicie uincidum confndiere duximns
[...]. Sepedicfns HMfew do??m!MS WizfUns), princeps Rni/nnom??!, et nos, <pM??idiM uixerimns, de&e-
??iMs ??udM0 esse nnifi, et nifer niferi in o??mi&MS necessiHfi&Ms nssisfere/ideiifer et/irmifer ndiierere (PUB
VI, Nr. 3832 = CDB 1.4, Nr. 9 = FABRicius IV.4, Nr. DCLVII [894] = MUB VII, Nr. 4602). Siehe zu
diesem Konnex allgemein SpiESS 1993, S. 73ff.
 
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