Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Auge, Oliver; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter: der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit — Mittelalter-Forschungen, Band 28: Ostfildern, 2009

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34741#0219

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
204

III. Fürst, Familie und Dynastie

Gefangenschaft.'" Ulrich II. von Mecklenburg-Stargard focht 1467 eine Fehde mit seinen
Schweriner Verwandten aus, die er ohne Vorwarnung auf ihrer Reise zum brandenbur-
gischen Kurfürsten überfiel und beraubte. Lähmende Wirkung auf die innenpolitischen
Verhältnisse Mecklenburgs bzw. die fürstliche Stellung im Herzogtum zeitigte der lang-
wierige Bruderzwist zwischen Heinrich V. und Albrecht VII. in der ersten Hälfte des 16.
Jahrhunderts."' Zwischen Konfrontation und gedulteter Koexistenz schwankten die
Wolgaster und Stettiner Linie der Pommernherzöge in den 1330er und 1340er Jahren
mehrfach." Otto III. von Pommern-Stettin stritt sich 1459 mit seinem Vetter Erich II. von
Pommern-Wolgast um das hinterpommersche Erbe des gemeinsamen Verwandten
Erich I., des ehemaligen Königs der Kalmarer Union, und verbündete sich zu diesem
Zweck mit Erichs II. Bruder, Wartislaw X., sowie dem Brandenburger Kurfürsten.""
Die Beispielreihe, die sich leicht verlängern ließe, verdeutlicht, daß das Bewußtsein
um die Zugehörigkeit zu ein und derselben Familie bzw. Dynastie, wenn überhaupt,
nicht permanent vorhanden war und daß sich dieses Bewußtsein über einzelne Indivi-
duen definierte."* »Es geht [bei der Suche nach dem dynastischen Bewußtsein, O. A.] um
die Frage, wie sich Ego zu seiner Herkunft und seiner Familie/[seinem] Geschlecht ver-
hält.« Von dieser Erkenntnis ist es nur ein kleiner Schritt zu der Schlußfolgerung, daß
ein Geschlechterbewußtsein gerade in der mehr oder minder durchgreifenden Befol-
gung einer Hausobservanz faßbar wird."" »Das Wort umschreibt die Erwartung, dass
sich das Mitglied eines Adelshauses oder Adelsgeschlechts unter Zurückstellung eige-
ner Ambitionen den Interessen des Hauses zu unterwerfen habe.«"" Verstärkte Tenden-
zen dazu werden im Spätmittelalter erkennbar, doch setzte sich das am Ende dieser Ent-
wicklung stehende Primogeniturprinzip erst in der Neuzeit weithin durch. Es gehört
wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß der Weg zu einer solchen Hausobservanz
oder dynastischen Räson regelmäßig von Erb- und Besitzkonflikten begleitet war. Um
diese zu vermeiden und im Gegenzug die Eintracht und den Zusammenhalt des Ge-
schlechts für die momentane und auch die nächste Generation bestmöglich sicherzu-
stellen, griffen die mittelalterlichen Geschlechter ganz allgemein auf das Mittel von Erb-
verträgen, Burgfrieden und sonstigen hausrechtlichen Bestimmungen zurück"" - und
das übrigens in einem Maße, daß zwangsläufig der Eindruck entsteht, das adelige Haus
sei hauptsächlich über solche Verträge konstituiert worden.

20 Siehe den Beginn von Kapitel V.
21 Dazu BEHNCKE 1927; FROMM 1875, S. 276.
22 Vgl. nur PUB VIII, Nr. 5213 u. 5218.
23 Siehe dazu die Ausführungen in Abschnitt 1.3.2.1.
24 Dazu und zum Folgenden SCHUSTER 2002, S. 22f.
25 Zum ebenfalls in der Forschung seit den grundlegenden Arbeiten von SriESS 1993, S. 11 bzw.
REIF 1982, S. 89 u. DERS. 1982a, S. 125ff., 1981, S. 277f., 1979, S. 78ff. begegnenden Begriff der »Fa-
milienordnung vgl. auch Abschnitt V.4.9. - Siehe desweiteren auch NoLTE 2005, S. 56f.; RoGGE
2002, S. 9.
26 SCHUSTER 2002, S. 22f. - Vgl. etwa SriESS 1990, z.B. S. 160: »[...] Verpflichtung der Familienmit-
glieder auf eine dynastische Räson [...], die in der Regel von den jüngeren Söhnen persönliche
Opfer und Verzicht auf das Erbe zugunsten des Erstgeborenen und damit zugunsten der Größe
des Hauses forderte.« - Spieß kann am Beispiel der Pfalzgrafen bei Rhein zeigen, wie sie auf
diesem Wege zum Ende des 14. bzw. Beginn des 15. Jahrhunderts ihre eigene Machtbasis zur
Versorgung aller Nachkommen zu verbreitern suchten. Das zehnjährige Königtum Ruprechts
von der Pfalz (1400-1410) war ihnen dabei eine große Hilfe (bes. S. 173f.).
27 Siehe etwa RALL 1987 und grundlegend SCHULZE 1-111.
 
Annotationen