Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Auge, Oliver; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter: der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit — Mittelalter-Forschungen, Band 28: Ostfildern, 2009

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34741#0313

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
298

IV. Die verfassungsrechtliche Stellung

Befunde fraglich, ob allein »Kaiser und Reich«, wie Moraw für die hessischen Landgra-
fen schreibt, die Fürsten aus dem »toten Winkel« herausdrängten, in dem sie sich vorher
befunden hatten, oder ob nicht auch die Fürsten selbst ihren Beitrag dazu leisteten. Ganz
abgesehen davon, daß die Fürsten des Nordostens vor 1470 zeitweilig durchaus »große
Politik« auf der politischen Bühne etwa Skandinaviens gespielt hatten, erscheinen die
Reichsverdichtung und die mit ihr einhergehenden transregionalen Kontakte zu ande-
ren Fürsten doch eher als das Ergebnis einer zuerst vielleicht von Kaiser und Reich -
wie man letzteres dabei nun wieder auch verstehen mag - initiierten, dann aber bald
beiderseits getragenen Entwicklung heraus aus der Regionalität gewesen zu sein. Die
Fürsten des königsfernen Nordostens konnten jedenfalls von der Reichsverdichtung im
Hinblick auf ihre Handlungsspielräume durchaus profitieren, was wiederum für die
richtige Bewertung der bislang eher auf die Perspektive des Reichsoberhaupts zentrier-
ten bzw. beschränkten Forschung entscheidend sein kann. Das betraf insbesondere das
Herzogtum Pommern in der Frage der allgemeinen fürstlichen Akzeptanz und Aner-
kennung seiner Reichsunmittelbarkeit. Doch umgekehrt - dies gilt es festzuhalten -
hatten auch die bislang königsnahen Fürsten und das Reich ihren Vorteil von den neuen,
»verdichteten« Kontakten. Die Reichstage der Reichsreform und der Reformationszeit
sind ohne Beteiligung des Reichsnordens und -nordostens so kaum denkbare^ Überre-
gionale Bündnisse wie der Torgauer Fürstenbund von 1526, in welchem sich die Fürsten
von Mecklenburg, Hessen, Sachsen, Braunschweig und Anhalt sowie die Herren von
Mansfeld zum Schutz der protestantischen Lehre zusammenschlossen, sind ein - na-
türlich vom neuen Faktor der Reformation mitbeeinflußtes bzw. sogar zentral bestimm-
tes - Resultat dieser Entwicklung.^ Das Fernbleiben von solchen Bündnissen konnte
fortan freilich ebenso zur Isolation innerhalb des Reichs führen, was den Handlungs-
spielraum dann natürlich schon wieder einengte und andere Reaktionen darauf nötig
machte. Philipp I. von Pommern-Wolgast entschloß sich z. B. trotz seiner dynastisch, po-
litisch und konfessionell engen Verbindung zum sächsischen Fürstenhaus der ernesti-
nischen Wettiner und trotz seiner vorherigen Einbindung in die protestantische Liga
und den Schmalkaldischen Bund 1547 - im übrigen ähnlich zögerlich wie Mecklen-
burg'^ - zu einer nur heimlichen Entsendung von lediglich 300 Reitern gegen Kaiser
Karl V. und trug durch diese mangelnde Unterstützung seinen Teil zur katastrophalen
Niederlage der protestantischen Partei bei Mühlberg bei/°° Im Medium des Bildes suchte
Philipp nun anscheinend diese sichtlich empfundene Mitschuld zu sühnen und wieder
wettzumachen, worauf »eine der kostbarsten und anspruchsvollsten höfischen Tapisse-
rien aus dem Umkreis protestantischer Höfe im frühneuzeitlichen Alten Reich« als ein
ganz besonderes Sühnebild angefertigt wurde: Der bekannte Croy-Teppich. "

297 MoRAw 1990, S. 60.
298 Siehe zum Torgauer Fürstenbund etwa FucHS 1999, S. 129f.; ScHRADER 1993, S. 169. - Der Bünd-
nisbeitritt betraf Heinrich V. Sein Bruder Albrecht VII. trat 1533 dem ebenfalls überregional or-
ganisierten Hallischen Bund der katholischen Fürsten bei. Siehe dazu ebenfalls ScHRADER 1993,
S. 169. - Zur Reformationszeit in Mecklenburg generell siehe neben ebda, immer noch auch
SCHNELL 1900.
299 ScHRADER 1993, S. 171.
300 Freilich war der Schritt aus lehnsmäßiger Sicht verständlich, denn Karl V. war Philipps Lehns-
herr, was im Falle Pommerns im Unterschied zu anderen Reichsfürsten eine ganz besondere Be-
deutung hatte, war doch zuvor so lange um die Belehnung durch den Kaiser gerungen worden.
301 Zum Croyteppich und seiner Interpretation als Sühnebild jetzt maßgeblich MÜLLER 2005a (Zitat
auf S. 216), an älterer Literatur siehe auch DAHLENBURG 2000; ScHROEDER 2000; THÜMMEL 1980;
SCHMIDT 1958. - Zur damaligen pommerschen Politik SCHMIDT 1993, S. 198; DERS. 1975, S. 28;
DERS. 1959a sowie 1957 und vor allem HELiNG 1906/07.
 
Annotationen