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Standortbestimmungen
Im Rahmen dieser Arbeit soll nun nicht das Ritual als solches definiert, sondern
die Rituale der Herrschererhebung untersucht werden. Dabei kann es nicht darum ge-
hen, die diesbezüglichen Handlungen als Ritual oder eine entsprechende Unterkatego-
rie zu klassifizieren und ihnen so per se und a priori eine Vielzahl von Eigenschaften
und Funktionen zuzuschreibenA Zwar hat man die Krönung nicht zu Unrecht als
Ubergangsritus, als »rite de passage« im Sinne van Genneps angesehen und gedeutet/ '
doch wird man sich die Frage gefallen lassen müssen, welcher erkenntnistheoretische
Mehrgewinn durch eine solche Zuordnung erreicht wird/" Die komplexen Strukturen
in das simple Schema von Trennung, Umwandlung und Angliederung zu pressen, er-
scheint eher als intellektuelle Spielerei denn als weiterführender Ansatz, und auch die
abstrakte und von außen vorgenommene Identifikation der Krönung als Ubergangs-
ritual erlaubt für sich noch keine weitergehenden Schlüsse.
Unter Ritual wird daher im Folgenden eine formalisierte Abfolge von Handlungen
verstanden, die sich als eigenständig wahrnehmbarer Komplex durch einen besonde-
ren Grad an Feierlichkeit (soHemnzfas) von einem bloßen technischen Vorgang abheben. "
Zwar mögen dabei durchgeführte Handlungen auch in anderen Kontexten Vorkom-
men, doch wird ihnen durch die außergewöhnliche Form ein Mehr an Bedeutung zuge-
schrieben - ein Vorgang der als Ritualisierung bezeichnet werden kann. Dieser Bedeu-
tungszuwachs ist jedoch keineswegs von vornherein gegeben und festgelegt. Statt ihn
im Vorfeld zu postulieren und daraus weitere Schlüsse abzuleiten,^ muss er erst an-
hand des historischen Materials herausgearbeitet werden: Einer monolithischen Defini-
38 So hingegen z. B. OESTERLE, Kalifat und Königtum, S. 76.
39 Ebd., S. 196f.; LE Gorr, La structure et le contenu ideologique de la ceremonie du sacre. Anders
Le Goffs ältere Arbeit zum selben Material, wo noch eine größere Distanz zu jenem Ansatz zu
beobachten ist (LE Gorr, Coronation Program, besonders S. 55 mit Anm. 16).
40 Auch BERNtNG, »Nach alltem löblichen Gebrauch«, S. 26 verweist einleitend kurz auf van Gen-
nep. In der entsprechenden Anmerkung wird dann jedoch hervorgehoben, dass die Darstel-
lung in ihrer Arbeit vereinfacht sei, »da eine genaue Erklärung der Unterkategorien der rite de
passage wenig zur Erhellung des Themas beitragen und zudem den Rahmen des Kapitels
sprengen würde« (Anm. 14).
41 Vgl. ähnlich auch STOLLBERG-RtnNGER, Symbolische Kommunikation, S. 503: »Unter einem Ri-
tual wird ... eine aus mehreren Elementen bestehende, formal normierte, symbolische Hand-
lungssequenz verstanden, die eine spezifische Wirkmächtigkeit besitzt.«
42 Zur Veranschaulichung sei hier auf die von Karl Leyser vorgenommene Unterscheidung zwi-
schen dem »Ritual«, das eine Wandlung bewirkt (Erstkrönung), und der »Zeremonie«, die eher
den Darstellungscharakter der Handlung betont (Unter-der-Krone-Gehen), verwiesen (LEYSER,
Ritual, Zeremonie und Gestik, S. 2f.; zustimmend PARAviciNt, Zeremoniell und Raum, S. 14 und
STOLLBERG-RtLiNGER, Symbolische Kommunikation, S. 504). Hier werden den Handlungen ver-
meintlich inhärente Bedeutungen und Funktionen zugeschrieben und außerdem die einzelnen
Bestandteile der Herrscherweihe undifferenziert zusammengefasst. Im Anschluss an die ein-
gangs vorgenommene Aufgliederung des Krönungsbegriffs gilt es jedoch gerade den unter-
schiedlichen Charakter der verschiedenen Elemente des überaus vielschichtigen Rituals zu be-
denken und herauszuarbeiten. Skeptisch zur scharfen Trennung der Begriffe Ritual und
Zeremonie/Zeremoniell äußern sich auch ScHWEDLER, Herrschertreffen, S. 30 für die von ihm
untersuchten Herrschertreffen, OESTERLE, Kalifat und Königtum, S. 76f. für Prozessionen und
BERNtNG, »Nach alltem löblichen Gebrauch«, S. 229f. für die böhmischen Königskrönungen der
Frühen Neuzeit. Im Folgenden wird Zeremonie daher synonym zu Ritual verwendet. Zu der
vor allem für die Frühe Neuzeit gebrauchten Unterscheidung zwischen Verfahren und Ritual
vgl. STOLLBERG-RtLiNGER, Vormoderne politische Verfahren. Einleitung, sowie KRiscHER, Insze-
nierung und Verfahren, besonders S. 194-198.
Standortbestimmungen
Im Rahmen dieser Arbeit soll nun nicht das Ritual als solches definiert, sondern
die Rituale der Herrschererhebung untersucht werden. Dabei kann es nicht darum ge-
hen, die diesbezüglichen Handlungen als Ritual oder eine entsprechende Unterkatego-
rie zu klassifizieren und ihnen so per se und a priori eine Vielzahl von Eigenschaften
und Funktionen zuzuschreibenA Zwar hat man die Krönung nicht zu Unrecht als
Ubergangsritus, als »rite de passage« im Sinne van Genneps angesehen und gedeutet/ '
doch wird man sich die Frage gefallen lassen müssen, welcher erkenntnistheoretische
Mehrgewinn durch eine solche Zuordnung erreicht wird/" Die komplexen Strukturen
in das simple Schema von Trennung, Umwandlung und Angliederung zu pressen, er-
scheint eher als intellektuelle Spielerei denn als weiterführender Ansatz, und auch die
abstrakte und von außen vorgenommene Identifikation der Krönung als Ubergangs-
ritual erlaubt für sich noch keine weitergehenden Schlüsse.
Unter Ritual wird daher im Folgenden eine formalisierte Abfolge von Handlungen
verstanden, die sich als eigenständig wahrnehmbarer Komplex durch einen besonde-
ren Grad an Feierlichkeit (soHemnzfas) von einem bloßen technischen Vorgang abheben. "
Zwar mögen dabei durchgeführte Handlungen auch in anderen Kontexten Vorkom-
men, doch wird ihnen durch die außergewöhnliche Form ein Mehr an Bedeutung zuge-
schrieben - ein Vorgang der als Ritualisierung bezeichnet werden kann. Dieser Bedeu-
tungszuwachs ist jedoch keineswegs von vornherein gegeben und festgelegt. Statt ihn
im Vorfeld zu postulieren und daraus weitere Schlüsse abzuleiten,^ muss er erst an-
hand des historischen Materials herausgearbeitet werden: Einer monolithischen Defini-
38 So hingegen z. B. OESTERLE, Kalifat und Königtum, S. 76.
39 Ebd., S. 196f.; LE Gorr, La structure et le contenu ideologique de la ceremonie du sacre. Anders
Le Goffs ältere Arbeit zum selben Material, wo noch eine größere Distanz zu jenem Ansatz zu
beobachten ist (LE Gorr, Coronation Program, besonders S. 55 mit Anm. 16).
40 Auch BERNtNG, »Nach alltem löblichen Gebrauch«, S. 26 verweist einleitend kurz auf van Gen-
nep. In der entsprechenden Anmerkung wird dann jedoch hervorgehoben, dass die Darstel-
lung in ihrer Arbeit vereinfacht sei, »da eine genaue Erklärung der Unterkategorien der rite de
passage wenig zur Erhellung des Themas beitragen und zudem den Rahmen des Kapitels
sprengen würde« (Anm. 14).
41 Vgl. ähnlich auch STOLLBERG-RtnNGER, Symbolische Kommunikation, S. 503: »Unter einem Ri-
tual wird ... eine aus mehreren Elementen bestehende, formal normierte, symbolische Hand-
lungssequenz verstanden, die eine spezifische Wirkmächtigkeit besitzt.«
42 Zur Veranschaulichung sei hier auf die von Karl Leyser vorgenommene Unterscheidung zwi-
schen dem »Ritual«, das eine Wandlung bewirkt (Erstkrönung), und der »Zeremonie«, die eher
den Darstellungscharakter der Handlung betont (Unter-der-Krone-Gehen), verwiesen (LEYSER,
Ritual, Zeremonie und Gestik, S. 2f.; zustimmend PARAviciNt, Zeremoniell und Raum, S. 14 und
STOLLBERG-RtLiNGER, Symbolische Kommunikation, S. 504). Hier werden den Handlungen ver-
meintlich inhärente Bedeutungen und Funktionen zugeschrieben und außerdem die einzelnen
Bestandteile der Herrscherweihe undifferenziert zusammengefasst. Im Anschluss an die ein-
gangs vorgenommene Aufgliederung des Krönungsbegriffs gilt es jedoch gerade den unter-
schiedlichen Charakter der verschiedenen Elemente des überaus vielschichtigen Rituals zu be-
denken und herauszuarbeiten. Skeptisch zur scharfen Trennung der Begriffe Ritual und
Zeremonie/Zeremoniell äußern sich auch ScHWEDLER, Herrschertreffen, S. 30 für die von ihm
untersuchten Herrschertreffen, OESTERLE, Kalifat und Königtum, S. 76f. für Prozessionen und
BERNtNG, »Nach alltem löblichen Gebrauch«, S. 229f. für die böhmischen Königskrönungen der
Frühen Neuzeit. Im Folgenden wird Zeremonie daher synonym zu Ritual verwendet. Zu der
vor allem für die Frühe Neuzeit gebrauchten Unterscheidung zwischen Verfahren und Ritual
vgl. STOLLBERG-RtLiNGER, Vormoderne politische Verfahren. Einleitung, sowie KRiscHER, Insze-
nierung und Verfahren, besonders S. 194-198.