Vorgehensweise und Methodik
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Nur noch selten werden aus den Bestimmungen des Ordo weitergehende Schlüsse
gezogen/"^ obgleich hier gerade die Stärke dieser Quellengattung liegt: Die Tatsache,
dass viele Bestandteile unverändert in neuere Fassungen eines Ordo übernommen wur-
den, mag man als allgemeines Charakteristikum einer liturgischen Neigung zu Invari-
anz und Starrheit deuten. Gleichzeitig zeigt sich daran jedoch auch, dass diese Formeln
und Gebete eben noch immer als adäquater Ausdruck der zeitgenössischen Anschau-
ungen und Ordnungsvorstellungen zu interpretieren sind: Was unverändert übernom-
men wurde, bedurfte offenbar keiner Veränderung, sondern hatte weiterhin Bestand.
Dies bedingt auch, dass den Veränderungen bestehender und der Aufnahme neuer Ele-
mente besondere Bedeutung beigemessen werden muss. Mehr noch als in der unverän-
derten Übernahme wird hier der Wille ersichtlich, den Umständen der Zeit einen ange-
messenen Ausdruck im Ritual zu verleihen. Dies dürfte zwar eher als Reaktion auf
einen Wandel außerhalb des Rituals zu verstehen sein, doch bewirkten Verschriftli-
chung und wiederholte Durchführung gleichzeitig eine Perpetuierung der Verände-
rung, bis wiederum neue Modifikationen notwendig wurden.
Neben der Beständigkeit einzelner Bestandteile der Krönungsordines ist nämlich
insgesamt ein kontinuierlicher Wandel zu konstatieren, der - von Königreich zu König-
reich verschieden - im Verlauf des Mittelalters in mehreren Schüben auftrat. Für das
römisch-deutsche Reich lassen sich im Wesentlichen zwei Phasen unterscheiden: der so
genannte »Mainzer Ordo« des 10. Jahrhunderts und der spätmittelalterliche Ordo, der
gemeinhin auf 1309 datiert wird und für den hier eine Entstehung >um 1325< vorge-
schlagen wird3°6 Daneben war der Forschung seit jeher eine um den Krönungseid er-
weitere Fassung des Mainzer Ordo bekannt, die in dieser Arbeit durch einen Hand-
schriftenfund um eine weitere Zwischenstufe erweitert werden konnte. Dass trotz
dieser verschiedenen Bearbeitungen auch weiterhin eine statische Sichtweise der Krö-
nungsordines vorherrscht, mag die Einschätzung Josef Semmlers aus dem Jahr 2005
verdeutlichen, wonach der Mainzer Ordo »bis auf geringe Änderungen für den zere-
moniellen Ablauf der Königserhebung in Deutschland bis 1792 verbindlich« geblieben
sei.'"' In Rahmen dieser Arbeit soll hingegen gezeigt werden, dass die Modifikationen
überaus zahlreich und von signifikanter Bedeutung für den Gesamtcharakter der
Weihe waren.
Um diese Dynamik des Rituals in den Blick zu nehmen, wird neben der inhaltli-
chen Interpretation der Formeln, Gebete und Handlungen vor allem den vorgenomme-
nen Veränderungen nachgegangen - spiegelt sich in ihnen doch ein umfassender Wan-
del von Ordnung und Ordnungsvorstellungen. Zur Veranschaulichung des Ansatzes
sei auf zwei Beispiele verwiesen, deren Auswahl eine gewisse persönliche Prägung
nicht verhehlen kann: die Universität Heidelberg und die Bayernhymne.
Als der Nationalsozialismus auch an der Heidelberger Universität Einzug hielt,
wurden 1936 anlässlich des 550-jährigen Jubiläums am Eingangsportal der Neuen Uni-
105 Siehe für den Mainzer Ordo z. B. OTT, Zeichencharakter der Herrscherkrone; OTT, Krone und
Krönung, S. 211-216; BRUGGtssER-LANKER, Krönungsritus und sakrales Herrschertum; für Frank-
reich KiNTziNGER, Symbolique du sacre; KiNTziNGER, Das inszenierte Imperium, S. 303-308;
KiNTziNGER, Corona??: SHsfcMfarc, S. 55-63.
106 Siehe unten, Kapitel 4.4.2- 4.4.4.
107 SEMMLER, Weihe des deutschen Königs, S. 128.
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Nur noch selten werden aus den Bestimmungen des Ordo weitergehende Schlüsse
gezogen/"^ obgleich hier gerade die Stärke dieser Quellengattung liegt: Die Tatsache,
dass viele Bestandteile unverändert in neuere Fassungen eines Ordo übernommen wur-
den, mag man als allgemeines Charakteristikum einer liturgischen Neigung zu Invari-
anz und Starrheit deuten. Gleichzeitig zeigt sich daran jedoch auch, dass diese Formeln
und Gebete eben noch immer als adäquater Ausdruck der zeitgenössischen Anschau-
ungen und Ordnungsvorstellungen zu interpretieren sind: Was unverändert übernom-
men wurde, bedurfte offenbar keiner Veränderung, sondern hatte weiterhin Bestand.
Dies bedingt auch, dass den Veränderungen bestehender und der Aufnahme neuer Ele-
mente besondere Bedeutung beigemessen werden muss. Mehr noch als in der unverän-
derten Übernahme wird hier der Wille ersichtlich, den Umständen der Zeit einen ange-
messenen Ausdruck im Ritual zu verleihen. Dies dürfte zwar eher als Reaktion auf
einen Wandel außerhalb des Rituals zu verstehen sein, doch bewirkten Verschriftli-
chung und wiederholte Durchführung gleichzeitig eine Perpetuierung der Verände-
rung, bis wiederum neue Modifikationen notwendig wurden.
Neben der Beständigkeit einzelner Bestandteile der Krönungsordines ist nämlich
insgesamt ein kontinuierlicher Wandel zu konstatieren, der - von Königreich zu König-
reich verschieden - im Verlauf des Mittelalters in mehreren Schüben auftrat. Für das
römisch-deutsche Reich lassen sich im Wesentlichen zwei Phasen unterscheiden: der so
genannte »Mainzer Ordo« des 10. Jahrhunderts und der spätmittelalterliche Ordo, der
gemeinhin auf 1309 datiert wird und für den hier eine Entstehung >um 1325< vorge-
schlagen wird3°6 Daneben war der Forschung seit jeher eine um den Krönungseid er-
weitere Fassung des Mainzer Ordo bekannt, die in dieser Arbeit durch einen Hand-
schriftenfund um eine weitere Zwischenstufe erweitert werden konnte. Dass trotz
dieser verschiedenen Bearbeitungen auch weiterhin eine statische Sichtweise der Krö-
nungsordines vorherrscht, mag die Einschätzung Josef Semmlers aus dem Jahr 2005
verdeutlichen, wonach der Mainzer Ordo »bis auf geringe Änderungen für den zere-
moniellen Ablauf der Königserhebung in Deutschland bis 1792 verbindlich« geblieben
sei.'"' In Rahmen dieser Arbeit soll hingegen gezeigt werden, dass die Modifikationen
überaus zahlreich und von signifikanter Bedeutung für den Gesamtcharakter der
Weihe waren.
Um diese Dynamik des Rituals in den Blick zu nehmen, wird neben der inhaltli-
chen Interpretation der Formeln, Gebete und Handlungen vor allem den vorgenomme-
nen Veränderungen nachgegangen - spiegelt sich in ihnen doch ein umfassender Wan-
del von Ordnung und Ordnungsvorstellungen. Zur Veranschaulichung des Ansatzes
sei auf zwei Beispiele verwiesen, deren Auswahl eine gewisse persönliche Prägung
nicht verhehlen kann: die Universität Heidelberg und die Bayernhymne.
Als der Nationalsozialismus auch an der Heidelberger Universität Einzug hielt,
wurden 1936 anlässlich des 550-jährigen Jubiläums am Eingangsportal der Neuen Uni-
105 Siehe für den Mainzer Ordo z. B. OTT, Zeichencharakter der Herrscherkrone; OTT, Krone und
Krönung, S. 211-216; BRUGGtssER-LANKER, Krönungsritus und sakrales Herrschertum; für Frank-
reich KiNTziNGER, Symbolique du sacre; KiNTziNGER, Das inszenierte Imperium, S. 303-308;
KiNTziNGER, Corona??: SHsfcMfarc, S. 55-63.
106 Siehe unten, Kapitel 4.4.2- 4.4.4.
107 SEMMLER, Weihe des deutschen Königs, S. 128.